Montag, 5. August 2024

Sonderbriefmarke für Faschisten: „Unglaublich!“

Der faschistische Unterrichtsminister Giovanni Gentile, der den muttersprachlichen Unterricht 1923 für viele Jahre aus den Südtiroler Schulen verbannte, wird von der italienischen Post mit einer Sonderbriefmarke geehrt – als „bedeutender Philosoph des 20. Jahrhunderts“. Bildungslandesrat Philipp Achammer fragt: „Geht’s noch? Immer noch nichts aus der Geschichte gelernt? Unglaublich!“

11 Monate nach ihrer Machtübernahme wollten die Faschisten über die Schule ihre gesellschaftspolitischen Visionen nachhaltig verankern: Die nach Giovanni Gentile benannte Reform verbot jeglichen muttersprachlichen Unterricht im Staatsgebiet. Nur Italienisch war erlaubt.

Zum 80. Todestag des faschistischen Unterrichtsministers Giovanni Gentile am 10. April hat die italienische Post eine Sammelbriefmarke herausgegeben: In Südtirol blieb das weitgehend unbemerkt. Bis Schullandesrat Philipp Achammer nun in den Sozialen Medien darauf aufmerksam machte.

Er schreibt: „Eine Briefmarke ,zu Ehren‘ jenes faschistischen Unterrichtsministers, der mit Dekret vom Oktober 1923 unter anderem das Verbot der deutschen Schule zu verantworten hat? Ja sag mal, geht’s noch? Immer noch nichts aus der Geschichte gelernt? Unglaublich!“



Der Auftrag für die Sondermarke kam nach Angaben der Post vom Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung. Die Marke hat einen Wert von 1,25 Euro und ist in einer Auflage von 250.020 Exemplaren erschienen.

Poste Italiane“ schreibt dazu auf ihrer Webseite: „Die Vignette zeigt ein Porträt von Giovanni Gentile, einem bedeutenden europäischen Philosophen des 20. Jahrhunderts und einem der führenden Vertreter des italienischen Idealismus; als Bildungsminister (Oktober 1922 – Juni 1924) führte er 1923 die als Gentile-Reform bekannte italienische Schulreform durch.“

Die „Lex Gentile“: Das Ende der deutschen Schule in Südtirol

Zwar nahm das Gesetz nicht direkt auf Südtirol Bezug, doch hatte es für Land und Leute weitreichende negative Folgen.

Zur Erinnerung: 11 Monate nach ihrer Machtübernahme wollten die Faschisten über die Schule ihre gesellschaftspolitischen Visionen nachhaltig verankern und dazu gehörte auch die Italianisierung der sprachlichen Minderheiten im Staat.

Mit dem Schulreformwerk wollte man die junge Generation auf die Nation einschwören. Die Vision war: eine Nation, eine Sprache, eine Kultur. Minderheitensprachen und -kulturen sollten unterdrückt und verdrängt werden.

Auf dem gesamten Staatsgebiet durfte nur mehr Unterricht in italienischer Sprache erteilt werden. Das bedeutete das Aus für den muttersprachlichen Unterricht in Südtirol, in den slawischsprachigen Gebieten im Friaul und um Triest sowie in den französischsprachigen Bergschulen im Aosta. Die Umsetzung des Gesetzes sollte stufenweise ab Herbst 1923 mit den 1. Klassen erfolgen.

Folgen traumatischer Jahre bis heute spürbar

Auch für die deutschsprachigen Lehrer war das Gesetz schwerwiegend: Sie verloren ihre Stellen, viele wanderten aus. Manche engagierten sich heimlich in den so genannten Katakombenschulen, die von Kanonikus Michael Gamper gefördert wurden. Sie boten dabei im Verborgenen ein Mindestmaß an muttersprachlicher Bildung in Südtirol.

Das taten sie unter Androhung drakonischer Strafen durch den Staat. Die Behörden verfolgten den muttersprachlichen Unterricht und gingen mit totalitären Mitteln gegen Organisatoren, Lehrpersonen und Schülereltern vor.

Die traumatischen Erfahrungen, die viele Südtiroler in Folge der „Lex Gentile“ machen mussten, wirken teilweise bis heute nach.

kn

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