Damit könnte eine Todes-Voraussage-Industrie entstehen – mit massiven Kapitalinteressen. <b>von Roland Benedikter</b>, <b>Politik- und Sozialwissenschaftler an der Eurac in Bozen.</b><BR /><BR /><BR /><BR />Sie würde nicht alleine stehen, weil sie dann zu erschreckend wäre. Sondern sie würde sich mit der – positiv dargestellten – Entwicklung 1. zur individualisierten „Präzisionsmedizin“, 2. der bio-chemischen Lebenszeit-Verlängerung (zum Beispiel Interleukin-11-Blocker) und 3. der Körper-Verbesserungsindustrie mittels bio-technologischer Aufrüstung (human enhancement, zum Beispiel Mensch-Maschine Schnittstellen-Implantate) verbinden. Keine dieser Entwicklungen allein, sondern ihr Überschneidungspunkt könnte in den kommenden Jahren kommerziell immer wichtiger werden, weil sie erst zusammen das Spektrum des Körpers von der Geburt bis zum Tod abdecken. <h3> Ära des „neuen Todes“</h3>Unsere Sicht auf den Tod könnte sich dabei verändern. Die Stichworte zur Ära des „neuen Todes“ lauten Kombination technologischer Sterblichkeitsvorausschau mit Körperverbesserung zum Lebenszeitgewinn. Dazu kommt heute drittens eine Todesindustrie, die den Tod zum individuellen kommerziellen Erlebnis machen will – zum Beispiel mittels der Stickstoff-Todeskapsel „Sarco“, die in der Schweiz Ende September erstmals für das freiwillige Sterben einer Amerikanerin angewandt wurde.<BR /><BR />Die Frage in der Gesamtschau ist, was die ethische Dimension dieser zutiefst ambivalenten Entwicklung ist – und sein kann. Wird Zukunft voraussehen in einigen Jahrzehnten im Kern heißen, den eigenen Tod vorauswissen? Und die eigenen Entscheidungen und Verhaltensweisen danach planen und führen? <h3> Zukunftsvorwegnahme ist nicht immer nur gut</h3>An diesem Punkt erweist sich etwas Interessantes: Zukunftsvorwegnahme ist nicht immer nur gut. Sie kann auch zu sozialer Desintegration führen – etwa, wenn wir den eigenen Tod einfach und jederzeit vorauserfahren können. Das Sofort-Wissen um den eigenen Tod könnte paradoxerweise dieselbe Frage wie beim – heute ebenfalls mit Milliarden-Investitionen angestrebten – Erreichen von Unsterblichkeit hervorrufen: würden Menschen dann ethisch besser oder böser? Zu befürchten ist angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und menschlicher Verhaltensspektren vom Frieden bis zum Krieg, dass Menschen eher unethischer würden. Wenn ich als gesunder Mensch plötzlich weiß, dass mir trotz besserer Lebensführung noch 2 Jahre bleiben, dir aber 30, könnten Schranken fallen.<h3> Transhumanismus könnte Zulauf erhalten</h3>Als Folge eines möglichen Todesvorauswissens könnte jedenfalls der Transhumanismus- das Streben nach einem biologisch „höheren“ Menschen mittels medizinischer Modifikation – starken Zulauf erhalten. Gesellschaftlich von Vorteil war bisher, dass der einzelne Mensch nicht um die Stunde seines Todes wusste – weil dann alles für alle offen blieb und so die Gesellschaft zwischen Menschen in einer Schwebe hielt. Wissen die einzelnen künftig aber per Kurztest – so wie man bisher eine Brille anpasste –, wann sie sterben werden, könnte das zur Veränderung von Verhaltensweisen führen. Es könnte Gesellschaft durch Vorausschau paradoxerweise nicht stabiler, sondern instabiler und unvorhersehbarer machen. <BR /><BR />Der Ausblick? Jeder Mensch, der bewusst unter den Bedingungen des Todes lebt, so wie der bisherige Mensch es tut, ist ein Held. Nur weil er lebt. Das gilt auch weiterhin. Wie wir mit den neuen Technologien zu unserem Körper, seiner Sterblichkeit und den künftig versprochenen „Verbesserungen“ ethisch umgehen können, steht noch in den Sternen. Damit müssen wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen und sehen, was in welcher Kombination gemeinsam sinnvoll sein kann – und welche Spielräume bisherige Ethik für die kommende Welt „Neuer Humantechnologien“ überhaupt noch bietet.