<b>Herr Giudiceandrea, Sie sind jetzt seit 4 Jahren Präsident des Südtiroler Unternehmerverbandes (UVS), davor waren Sie 7 Jahre Vizepräsident. Sie haben ein gut gehendes Unternehmen. Wie aufreibend und zeitaufwendig ist nebenher noch ein Verbandsjob?</b><BR />Federico Giudiceandrea: Einen solchen Verbandsjob nur nebenbei zu machen, das geht nicht. Es ist zwar kein Vollzeitjob, aber ein halber Tag geht drauf.<BR /><BR /><BR /><b>Jeden Tag?</b><BR />Giudiceandrea: Ja, mal mehr, mal weniger. Vor allem jetzt, in der Zeit der Pandemie, war es wie ein Vollzeitjob. Aber ich wusste ja schon vorher, was ich mir mit diesem Amt aufbürde. Ich war in meinem Unternehmen im Jahr 2017, als ich Präsident des Unternehmerverbandes wurde, in einer Phase des Umbruchs, es wurde eine Nachfolge, ein neues Management aufgebaut, daher war dieser Zeitpunkt für mich ideal.<BR /><BR /><BR /><b>Wenn man einen solchen Verbandsjob annimmt, braucht man im eigenen Unternehmen also Mitarbeiter, auf die man sich zu 100 Prozent verlassen kann?</b><BR />Giudiceandrea: So ist es. Das ist bei Microtec zum Glück der Fall. Unser Unternehmen konnte in den vergangenen 4 Jahren den Umsatz fast verdoppeln. <BR /><BR /><BR /><b>Als Sie vor 4 Jahren zum Präsidenten gewählt worden sind, haben Sie in einem „Dolomiten“-Interview gesagt, dass die Bürokratie eines der großen Probleme Südtirols sei. Hat sich dahingehend etwas gebessert?</b><BR />Giudiceandrea: Es hat einige gute Ansätze gegeben, ein bisschen etwas ist passiert, aber es gibt noch immer sehr viel Luft nach oben. Der Abbau der Bürokratie ist ein sehr schwieriger Prozess und dieser Prozess muss zuallererst in den Köpfen der Gesetzgeber stattfinden. Wir haben ja während der Pandemie gesehen, wie schwierig und mühsam es ist, bestimmte Dinge in die Tat umzusetzen, zum Beispiel die Tests in den Unternehmen. Die Bürokratie ist weiterhin die größte Baustelle, die wir in Südtirol, in Italien und in ganz Europa haben. Sie ist ein Übel.<BR /><BR /><BR /><b>Es wird schon seit mindestens 20 Jahren über Bürokratieabbau geredet, trotzdem ist kaum etwas passiert. Warum ist das so schwierig?</b><BR />Giudiceandrea: Das Problem sind die Gesetze. Wir haben viel zu viele und viel zu komplizierte Gesetze. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49016917_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sollte der Staat also auf die Einhaltung der bestehenden Gesetze achten, statt dauernd neue Gesetze zu machen?</b><BR />Giudiceandrea: So ist es. Denn, je mehr Gesetze gemacht werden, desto komplizierter wird es. Viele Personen nutzen dieses Bürokratiechaos dann aus, indem sie Schlupflöcher finden und die Gesetze umgehen. Andere wiederum schaffen es nicht mehr, die Gesamtheit der Gesetze einzuhalten, weil der Aufwand zu groß ist. Es kann also genau das Gegenteil von dem passieren, was man eigentlich will. <BR /><BR /><BR /><b>Sie sagten im selben Interview auch, dass sich die Wirtschaftsverbände im Großen und Ganzen sehr ähnlich seien und die Unterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen oft zu stark aufgebauscht werden. Eine stärkere Zusammenarbeit wäre auf jeden Fall wünschenswert, meinten Sie damals. Sie wären auch offen für eine Fusion der Verbände. Gibt es inzwischen mehr Zusammenarbeit?</b><BR />Giudiceandrea: Ja. Ein gutes Beispiel ist die Pandemie. Zu Beginn der Krise haben wir als Unternehmerverband gemeinsam mit dem lvh und den Gewerkschaften die Sicherheitsprotokolle ausgearbeitet, wir haben an einem Strang gezogen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen, aber schlussendlich sind wir ja alle Unternehmer, wir haben alle dieselben Probleme. Niemand von uns bekommt am Ende des Monats ein garantiertes Gehalt, wir müssen uns das tagtäglich erarbeiten, das geht allen Unternehmen gleich, egal ob groß oder klein. Das haben mittlerweile alle verstanden und die Zusammenarbeit zwischen den Verbänden war in den vergangenen 4 Jahren besser als früher, es hat beispielsweise keine Probleme zwischen den Handwerkern und dem Unternehmerverband gegeben.<BR /><BR /><BR /><b>Gab es zwischen diesen beiden Verbänden sonst immer die größten Reibungspunkte?</b><BR />Giudiceandrea: Ja, aber in den vergangenen Jahren ist das deutlich besser geworden. Mit lvh-Präsident Martin Haller arbeite ich sehr gut zusammen, auch wenn es immer wieder verschiedene Sichtweisen gibt. Aber das ist normal. <BR /><BR /><BR /><b>Sie werden Anfang Juni zum neuen Präsidenten des Südtiroler Wirtschaftsrings gewählt, werden Sie da die Zusammenarbeit zwischen den Verbänden weiter forcieren?</b><BR />Giudiceandrea: Auf jeden Fall. Wir Unternehmer müssen mit einer Stimme sprechen, egal von welchem Verband und von welchem Sektor wir kommen. Das stärkt unsere Position gegenüber der Politik. Die Rolle der Dachorganisation, also des Wirtschaftsrings, sollte meiner Meinung nach verstärkt werden. Der aktuelle Präsident, Hannes Mussak, hat das schon sehr gut gemacht. <BR /><BR /><BR /><b>Fast die Hälfte Ihrer Amtszeit mussten Sie den Verband durch eine Pandemie führen. Wie geht es der Südtiroler Industrie heute?</b><BR />Giudiceandrea: Die Südtiroler Industrie hat die Pandemie recht gut überstanden, auch weil die europäischen Lieferketten immer aufrechterhalten werden konnten. Die Exportzahlen sind sogar gestiegen, auch die Beschäftigungszahlen. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49016918_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Es gab also kaum Einbrüche in der Industrie?</b><BR />Giudiceandrea: Doch, die gab und gibt es auch. Einige Unternehmen und Sektoren in der Industrie haben stark zu kämpfen. Aber insgesamt muss man sagen, dass die Industrie in Südtirol gut aufgestellt und auch krisenresistent ist. Das hat man in den vergangenen Monaten gesehen. In einigen anderen Gebieten schaut es ganz anders aus, in Kärnten beispielsweise muss die Industrie ein Minus von 7 Prozent hinnehmen, auch im Trentino gab es ein Minus. <BR /><BR /><BR /><b>Die Industrie in Südtirol wurde immer argwöhnisch betrachtet und hatte stets das Image von Umweltverschmutzern. Hat sich das in den vergangenen Jahren gewandelt?</b><BR />Giudiceandrea: Ich hatte mir fest vorgenommen, dieses Bild zu ändern, denn es stimmt einfach nicht. Erstens spielt die Industrie eine wesentliche Rolle bei der Schaffung stabiler und qualifizierter Arbeitsplätze und ist gleichzeitig der größte Steuerzahler im Land. Die Industrie zahlt mehr Steuern als alle anderen Bereiche. Und was das Thema Umweltverschmutzung anbelangt, so muss man sagen, dass unsere Betriebe sehr umweltbewusst sind, wir verbrauchen wenig Grund und es gibt kaum Schwerindustrie. <BR /><BR /><BR /><b>Sowohl Staat als auch Land mussten und müssen viel Geld in die Hand nehmen, um die Betriebe in dieser Krise zu unterstützen. Kann sich der Staat Italien das in diesem Umfang überhaupt leisten?</b><BR />Giudiceandrea: Es gibt Momente, in denen man Schulden machen muss, das ist auch bei Unternehmen der Fall. Hätte der Staat diese Krise einfach laufen lassen, ohne zu intervenieren, dann wäre das Übel für die Betriebe noch größer geworden, dann wären gesunde Betriebe unverschuldet gestorben. Das darf man nicht zulassen. Das Sterben von Personen durch diese Pandemie war eine Tragödie, aber, – etwas provokant formuliert – das Sterben von Unternehmen ist gleich schlimm. Denn es geht nicht nur das Know-how eines Unternehmens verloren, es hängt viel mehr dran, die Arbeitsplätze, oder die Steuern. Daher war es in diesem Fall richtig, sich zu verschulden, auch wenn wir als Industrie normalerweise sehr vorsichtig und skeptisch sind, was Schulden machen anbelangt. Gleichzeitig müssen wir aber auch daran denken, dass unsere Kinder und Enkel diese Schulden zurückzahlen müssen. Daher muss dieses Geld sinnvoll ausgegeben werden. <BR /><BR /><BR /><b>Ein Kritikpunkt des Unternehmerverbandes war stets, dass im Landeshaushalt zu viele fixe Ausgaben seien und zu wenig Spielraum für Investitionen. Das wird wohl nun noch schwieriger werden?</b><BR />Giudiceandrea: Das stimmt, daher muss man beim Landeshaushalt nun endlich einen Kassensturz, also eine „Spending Review“ machen. Wir werden den Rotstift ansetzen müssen, daran kommen wir nicht mehr vorbei. <BR /><BR /><BR /><b>Südtirol muss künftig also wieder das Sparen lernen?</b><BR />Giudiceandrea: Ja, das heißt aber nicht unbedingt, dass wir auf Lebensqualität verzichten müssen, wir müssen aber effizienter werden, es gibt keine Ausreden mehr. <BR /><BR /><BR /><b>Effizienter in welcher Hinsicht?</b><BR />Giudiceandrea: Ein Unternehmer würde in einer solchen Situation auch nicht überall einfach nur einsparen, sondern er würde versuchen, die Abläufe und Prozesse zu verbessern und effizienter zu gestalten, beispielsweise durch Digitalisierung. <BR /><BR /><BR /><b>Die Politik sollte also handeln wie ein privates Unternehmen?</b><BR />Giudiceandrea: Genau. Die Politik müsste die Methoden von privaten Unternehmen anwenden, dafür braucht es aber Mut. Das ist auch in einem Unternehmen so. Jede Veränderung braucht Mut. <BR /><BR /><BR /><b>Diese Krise hat viele Betriebe und Familien vor Existenzprobleme gestellt, die Verzweiflung bei einigen ist daher verständlicherweise groß, wie man in den sozialen Medien, aber auch auf Demonstrationen sieht. Befürchten Sie, dass der soziale Frieden im Land in Gefahr ist?</b><BR />Giudiceandrea: Ja. Daher muss man den Betrieben und den Familien unbedingt helfen, sonst hat man einerseits einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden und andererseits gefährdet man den sozialen Frieden. Das dürfen wir keinesfalls riskieren. <BR /><BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49016919_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wie hat die Südtiroler Landesregierung Ihrer Meinung nach die Pandemie bislang gemeistert?</b><BR />Giudiceandrea: Es wurden einige Fehler gemacht, aber das war in einer solchen Krise, in der man auf Sicht fahren musste, gar nicht zu verhindern. Insgesamt muss ich sagen, hat die Landesregierung ihre Sache gut gemacht und sie hätte es noch besser machen können, nur durfte sie nicht. <BR /><BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Giudiceandrea: Wir haben in dieser Krise gesehen, dass die Südtiroler Autonomie ihre Grenzen hat. Die Landesregierung wollte einige Maßnahmen anders machen als Italien, durfte aber nicht. So darf das Land Südtirol beispielsweise keine Schulden machen, auch wurden Maßnahmen der Landesregierung von Rom angefochten. Was den Wintersport anbelangt, wollte Südtirol einen eigenen Weg gehen, durfte aber nicht. Unsere Autonomie hat ihre Grenzen, wie wir gesehen haben. Wir müssen daher durch Neu-Verhandlungen über das Autonomiestatut unbedingt sicherstellen, dass man künftig in solchen Fällen autonomer agieren kann. <BR /><BR />