<b>Herr Pan, bei dem EU-Gipfel diese Woche schien es fast so, als würde über allem die Sorge stehen, dass Europa gegenüber den USA und Asien den Anschluss verlieren könnte. Besteht diese Gefahr denn?</b><BR />Stefan Pan: Europa hat durchaus das Potenzial, dem Wettbewerbsdruck standzuhalten. Dass sich in den letzten Jahren das Gleichgewicht aber eher zu Ungunsten Europas entwickelt hat, beweist die Tatsache, dass die direkten Investitionen von 2019 bis 2021 in der EU um 66 Prozent abgenommen haben, während sie in den USA um 63 Prozent nach oben schnellten. <BR /><BR /><b>Das war noch vor Einführung des „Inflation Reduction Act“, mit dem die USA seit heuer Milliardenhilfen für Klimatechnologien vorsehen.</b><BR />Pan: Richtig, das Förderprogramm wird den Trend, dass in den USA mehr investiert wird als in der EU, weiter verstärken. Man stellt auch fest, dass immer mehr Betriebe in Europa über Betriebsverlagerungen in die USA nachdenken oder dort neue Werke bauen. Noch eine interessante Zahl kann ich liefern. <BR /><BR /><b>Welche?</b><BR />Pan: In der EU wurden 2022 im Vergleich zum Jahr davor 15 Prozent weniger neue Firmenstandorte errichtet, in den USA waren es 18 Prozent mehr. Der „Inflation Reduction Act“ ist bei den steigenden Investitionen aber nur ein Faktor, der die Attraktivität der USA im Standortwettbewerb erhöht. Dazu kommen die Energiekosten, die aktuell in Europa 4 Mal höher sind als in den USA und die überbordende Bürokratie in Europa. In den USA schaut man, Innovationen möglichst schnell marktreif zu bekommen, in der EU wird erst einmal reguliert und dann schaut man weiter. <BR /><BR /><b>Wie bewerten Sie die Ansätze, die beim EU-Gipfel diskutiert wurden, um wettbewerbsfähiger zu werden?</b><BR />Pan: Ich begrüße, dass es eine hohe Sensibilität gegenüber dem Null-Kilometer-Ansatz gibt, nur wird das alleine nicht genügen. Wenn wir nicht ins Hintertreffen geraten wollen, müssen wir die kleinen und die großen Kreisläufe fördern. Europa tut deshalb gut daran, die Industriekompetenz wiederzuentdecken und sich von der postindustriellen Denkweise zu verabschieden.<BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Pan: Es herrscht Einigkeit darüber, dass wir vor 2 zentralen Herausforderungen stehen: Nachhaltigkeit und Digitalisierung. In anderen Worten: Wir müssen den Planeten retten und dafür braucht es auch moderne Technologien. Die technologischen Innovationen kommen primär von der Industrie. Wenn die Politik jetzt hergeht und die technologische Neutralität aufgeben will, ist das sehr problematisch. Die EU sollte alle Technologien grundsätzlich gleich behandeln. <BR /><BR /><b>Stichwort Elektromobilität und Verbrennerverbot...</b><BR />Pan: Genau, das ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie weit die Politik nicht gehen sollte. Wenn wir nämlich in Europa die Fähigkeit verlieren, uns technologisch im Spitzenfeld zu bewegen, wird das irgendwann dazu führen, dass Wertschöpfung und Arbeitsplätze verloren gehen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich teile die Ziele, die mit dem Verbrennerverbot verfolgt werden absolut. Nur sollte man den Weg dorthin den Forschungseinrichtungen und Unternehmen überlassen. Was die Bürokratie angeht, vernehme ich durchaus positive Signale, etwa, dass die Genehmigungsverfahren in der EU halbiert und die verbleibenden deutlich beschleunigt werden sollen. Die Industrie ist jedenfalls gerne bereit, in den Dialog mit der EU zu treten, um dieses Ziel zu erreichen. Dasselbe gilt für die Energiepolitik.<BR /><BR /><b>Sie sagten, dass die Industrie stärker ins Bewusstsein gerückt werden muss. Auch in Südtirol?</b><BR />Pan: Ja. Es ist immer noch kaum jemandem bewusst, dass die Industrie der größte Arbeitgeber im ländlichen Raum ist. Ebenso, dass es in Südtirol weltweite Marktführer gibt, auf die wir stolz sein können. Der Tourismus oder die Landwirtschaft sind viel stärker präsent in der öffentlichen Wahrnehmung. <BR /><BR /><b>Wie industriefreundlich ist die Politik in Südtirol?</b><BR />Pan: Es gibt sicherlich noch Luft nach oben. Das sieht man zum Beispiel daran, wie wenig man für die Internationalisierung der Wirtschaft bereit ist auszugeben. Es ist nur ein Bruchteil dessen, was dem Tourismus zur Verfügung gestellt wird. Darum wäre es ein schönes Zeichen, wenn die Politik herginge und die Irap weiter senken würde. <BR /><BR /><b> ...bis Jahresende wurde sie ja bereits von 3,9 auf 3,3 Prozent reduziert.</b><BR />Pan: Das stimmt, aber eine Rückkehr auf das ursprüngliche Niveau von 2,68 Prozent wäre möglich und hat sich in der Praxis auch bereits bewährt. Unabhängig davon wird es dringend nötig sein – und das sage ich schon seit einigen Jahren – eine Spending Review durchzuführen. Dadurch wäre es möglich, im Landeshaushalt Freiräume für Investitionen zu schaffen und zu verhindern, dass alles von laufenden Kosten bestimmt wird – das wäre nämlich das Ende der Politik.