<BR /><b>Rechtsextremes Gedankengut scheint in Südtirol immer mehr Jugendliche zu faszinieren. Haben sie keine Perspektiven mehr? </b><BR />Konrad Pamer: Die allermeisten Jugendlichen in Südtirol haben mit Rechtsextremismus überhaupt nichts am Hut. Im Gegenteil, der weit überwiegende Teil fasziniert sich für ganz andere Themen. Wir stellen fest, dass viele junge Menschen die Vereine in unseren Dörfern und Städten beleben, sie treffen sich mit Freunden, treiben Sport, Arbeiten oder gehen zur Schule. Sie finden dort das Zugehörigkeitsgefühl das immens wichtig für Heranwachsende ist und sind nicht perspektivenlos. Dennoch passiert es immer wieder, dass rechtsextremes und menschenverachtendes Gedankengut unter den jüngeren Generationen auftauchen. Dies kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69490673_quote" /><BR /><BR /><b>Was sind solche Faktoren?</b><BR />Pamer: Die Krisen der letzten Jahre, und ich denke in erster Linie an die Finanzkrise von 2008, die Pandemie und den Krieg in der Ukraine, haben vor allem die fragileren Bevölkerungsschichten sehr verunsichert. Krisen und Angst wurden historisch immer schon von rechtsextremen Bewegungen zur Konsensbildung genutzt. Die Identifikation von Sündenböcken, ob Ausländer oder wirtschaftlich-politische Eliten, fungiert dabei als Katalysator von identitären und nationalistischen Bewegungen, die sich gegen alles Fremde und Unbekannte richten. Was heute hinzukommt sind die sozialen Medien, die auch in Südtirol von rechten Bewegungen und Parteien massiv eingesetzt werden, um unter den Jugendlichen pauschalisierende und hetzerische Botschaften zu verbreiten. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69490677_quote" /><BR /><BR /><b>Welche Rolle kommt ihnen zu?</b><BR />Pamer: Internet ist ein äußerst wirksames Instrument, im Guten wie im Schlechten. Jugendliche sind heutzutage alle digital vernetzt und somit für alle möglichen Botschaften leicht erreichbar. Rechte Propaganda setzt auf die Unmittelbarkeit der Emotionalität, das ist ein leichtes Spiel. <BR /><BR /><b>Vor Kurzem hat die Gruppierung „Junge Aktion“ ein Video veröffentlicht, dass eindeutig rechtsextrem ist. Darin machen sie die White-Power-Geste. Was bedeutet diese Geste? </b><BR />Pamer: Die sogenannte White-Power-Geste ist ein Handzeichen, bei dem Daumen und Zeigefinger einen Kreis formen, während die anderen drei Finger abgespreizt sind. White Power ist ein Begriff, der in rechtsextremen Kreisen verwendet wird und die Überlegenheit der weißen Rasse propagiert. Ursprünglich entstand er als Gegenreaktion auf den „Black Power“-Slogan der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Dabei möchte ich auch auf den Sticker verweisen, der im besagten Video erscheint. Darauf steht “Weg mit dem NS-Verbotsgesetz“: Die ideologische Ausrichtung der Gruppierung ist unmissverständlich.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69490801_quote" /><BR /><BR /><b> Inwieweit ist Rechtsextremismus hierzulande verbreitet? Gibt es verlässliche Zahlen? </b><BR />Pamer: Extremismus ist ein Problem, das auch in Südtirol existiert. Es gibt verschiedene Formen von Extremismus, wie z.B. Rechtsextremismus, Linksextremismus und religiös motivierten Extremismus. In einer Studie des Forums Prävention “Das Phänomen Extremismus in Südtirol“ aus dem Jahr 2010 (Peter Koler, Lukas Schwienbacher, Maria Masoner, Lothar Böhnisch) hieß es in den Schlussfolgerungen: „Insgesamt kann festgestellt werden, dass in Südtirol zum jetzigen Zeitpunkt ein politischer Extremismus unter jungen Menschen weder besonders ausgeprägt noch besonders verbreitet ist. Immer wieder wird aber, und das betrifft jeden untersuchten Bereich, von einzelnen Akteuren oder kleinen Gruppen berichtet.“ Ich kann schwer einschätzen, ob sich das Szenario in den letzten 15 Jahren verschlechtert oder verbessert hat. Die progressive Verschiebung des politischen Spektrums nach Rechts ist eine europaweite Tendenz, die von jungen Menschen, die bekanntlich sehr feinfühlig für Stimmungen sind, wahrgenommen wird. Wir müssen junge Menschen in ihren Unsicherheiten auffangen, ihnen politische Bildung, Reflexionsmöglichkeiten und Teilhabe ermöglichen. Die Jugendarbeit versucht diesen Themen präventiv aber auch unmittelbar zu begegnen <BR /><BR /><embed id="dtext86-69490805_quote" /><BR /><BR /><b>Was kann man noch dagegen tun? Kann man überhaupt etwas dagegen tun? </b><BR />Pamer: Das Amt für Jugendarbeit und seine Netzwerkpartner führen seit vielen Jahren Projekte zur politischen Bildung und der aktiven Bürgerschaft durch. Unter meiner Amtsleitung wurde dieser Tätigkeitsbereich bewusst potenziert, sowohl für Jugendliche selbst als auch für unsere Fachkräfte im Jugendbereich, in der Überzeugung dass Aufklärung und Bildung ein starkes Gegenmittel zum Rechtsextremismus repräsentieren. Ein Beispiel an Bildungsarbeit in diesem Bereich ist das Projekt „Promemoria_ Ausschwitz“, im Zuge dessen junge Menschen sich mit dem Holocaust auseinandersetzen und gemeinsam die menschenverachtenden Folgen dieser Ideologien kennen lernen. An diesem Bildungsprojekt nahmen heuer knapp 500 junge Menschen aus Südtirol, dem Trentino und Nordtirol teil. <BR />Ein verstärktes Workshop- und Vortragsangebot an Schulen, Jugendzentren und in Vereinen, Projekte zur Förderung von Demokratie, Toleranz und Vielfalt, der Einsatz von Social Media und anderen digitalen Kanälen zur Aufklärung und Sensibilisierung – all das kann und muss man wohl potenzieren. Ebenso lohnt es sich über Deradikalisierungsprojekte nachzudenken, Beratungsstellen für Aussteiger und deren Familien wären Angebote die wichtig sind. Eine noch einzurichtende Fachstelle für Extremismusbekämpfung in Südtirol könnte sich intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen. Das fände ich sehr sinnvoll.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69490809_quote" /><BR /><BR /><b>Wie sollten Eltern und Freunde reagieren, wenn rechtsextreme Ansichten bei Jugendlichen erkannt werden? </b><BR />Pamer: Man darf nie aufhören mit Jugendlichen zu diskutieren. Auch wenn es schwer fällt, auch wenn es weh tut. Rationale Argumentation erfordert Mühe und oft erscheint sie gegen die vereinfachenden und emotionsgeladenen Parolen des Populismus machtlos. Dennoch, es gibt keinen anderen Weg.