Ulrike Oberhammer, Präsidentin des Landesbeirates für Chancengleichheit und Rechtsanwältin, empfindet die Gesetzesvorlage als ersten Schritt – viele weitere müssten noch folgen.<BR /><BR /><b>Frau Oberhammer, wie bewerten Sie den neuen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen?</b><BR />Ulrike Oberhammer: Der Femizid wird nun als eigenständige Straftat mit entsprechendem Strafmaß „Lebenslänglich“ bewertet. Lebenslänglich bedeutet in Italien 21 Jahre. Bei guter Führung kann dieses Strafmaß wiederum verkürzt werden. Ein großer Unterschied liegt in der Neuerung, dass nicht nur die Polizei, sondern die Staatsanwälte die Verhöre machen. Allerdings ist immer zu schauen, wie das in der Praxis funktionieren kann.<BR /><BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Oberhammer: Wenn ich an die Situation bei der Staatsanwaltschaft Bozen denke, so sind dort nur 5 von 15 Stellen besetzt. Wie sollen die Staatsanwälte also noch weitere Aufgaben schultern? Es braucht mehr Personal, mehr finanzielle Mittel. Das gilt auch für eine noch bessere Schulung der Polizeikräfte in dieser Thematik, das passiert bisher nur zum Teil. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1138773_image" /></div> <BR /><b>Mit dem Gesetzesentwurf will sich die Regierung dem Phänomen Gewalt gegen Frauen entgegenstellen. So sollen auch die Strafmaße bei häuslicher Gewalt, Misshandlungen, Stalking oder Rachepornos deutlich erhöht werden. Regierungschefin Giorgia Meloni selbst spricht von „einer inakzeptablen Plage“, die man in den Griff bekommen will. Einverstanden?</b><BR />Oberhammer: Sicherlich, es ist ein erster Schritt. Aber es muss noch viel mehr kommen und es muss schneller gehen. Positiv empfinde ich, dass die Opfer von Gewalt über die Entlassung von Tätern umgehend informiert werden müssen. Außerdem sollen sie im Falle eines juridischen Vergleichs angehört werden. Eine wirkungsvolle Maßnahme wäre in meinen Augen das verpflichtende Anti-Gewalt-Training für die Täter – also nicht bloß die Einschreibung in den Kurs, sondern das tatsächlich abgeschlossene Training. Täter müssen verstehen lernen, was sie getan haben und ihr Verhalten ändern. Erst dann soll das verkürzte Verfahren zur Anwendung kommen. <BR /><BR /><BR /><b>Wie ist es in Südtirol um die Anti-Gewalt-Trainings bestellt?</b><BR />Oberhammer: Diese werden hierzulande schon länger von der Caritas-Männerbewegung angeboten, sie dauern mehrere Monate und sind kostenpflichtig. Ein längerfristiges Monitoring der Rückfallquote wäre angebracht. Wie schon erläutert, plädiere ich für den verpflichtenden Abschluss der Anti-Gewalt-Trainings von Seiten der Gewalttäter. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Notwendigkeit, die Gewalttaten auch tatsächlich anzuzeigen. Viele Frauen trauen sich das einfach nicht.<BR /><BR /><BR /><b>Dabei wäre das ein wesentlicher Schritt, damit sich die Dinge ändern, oder?</b><BR />Oberhammer: In der Tat handelt es sich hier um ein riesiges Problem. Wenn eine Frau – aus welchen Gründen auch immer – nicht die Strafanzeige macht, so muss das etwaige Folgeopfer ganz von vorne anfangen mit den Zeugenaussagen etc. Es ist leider noch immer so, dass den Männern in dieser Thematik eher geglaubt wird, als der Frau. Oft heißt es, sie habe das mit ihrem Verhalten provoziert und habe es sich somit gesucht. Das ist eine typische Opfer-Täter-Umkehr, die einfach nicht toleriert werden kann. Von vielen Frauen, die eine Gewalttat zur Anzeige gebracht haben und schließlich vor Gericht Recht bekommen haben, höre ich oftmals: „Endlich hat man mir geglaubt, endlich weiß man, wie sich die Dinge wirklich zugetragen haben.“ <BR /><BR /><BR /><b>Im Gesetzesvorschlag wird auch die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen und einer Bildungsoffensive betont. Wichtige Aspekte?</b><BR />Oberhammer: Natürlich, es gilt hier frühzeitig die notwendigen Themen anzusprechen. Dazu nur ein Beispiel: Wenn Nadia Mazzardis, die Vizepräsidentin des Beirates für Chancengleichheit, Oberschulen besucht, so bekommt sie immer wieder zu hören, dass abwertende Schimpfwörter und despektierliche Bezeichnungen ganz normal seien. Die Mädchen kennen es nicht anders. Gerade hier muss angesetzt werden, bei der Prävention und bei der Bewusstseinsbildung. Genauso ist es wichtig, die Dynamik in Familien mit gewalttätigen Männern zu verstehen und zu durchbrechen – Jungs übernehmen in der Regel das Verhalten des Vaters, Mädchen dagegen schlüpfen oftmals in die Opferrolle der Mutter. Und so lässt sich auch die Tatsache erklären, dass sich Opfer oft erst gar nicht als Opfer sehen, weil sie Formen der Gewalt in ihrer eigenen Familie und in der Schule als normal erleben. Weil sie es nicht anders kennen. Deshalb ist Bewusstseinsbildung wichtig.<BR /><b><BR />Viele Formen der Gewalt werden somit erst gar nicht wahrgenommen, zumindest von einem Teil der Betroffenen?</b><BR />Oberhammer: Das große Spektrum reicht von körperlicher, sexualisierter und finanzieller Gewalt bis hin zu Stalking und psychischen Formen der Gewalt – etwa Demütigungen, Verleumdung, Manipulation oder anzüglichem Verhalten im öffentlichen Raum („Catcalling“). Hier gilt es, einen kulturellen Wandel voranzutreiben und zu lernen: Was ist normal und was nicht.<BR /><BR /><BR /><b>Wie sieht es hierzulande mit unterstützenden Strukturen für betroffene Frauen aus?</b><BR />Oberhammer: Es gibt Frauenhäuser, es gibt Netzwerke auf Bezirksebene, jede Gemeinde hat einen Beauftragten gegen Gewalt an Frauen. Die Carabinieri in Bruneck und Meran sowie die Quästur in Bozen hat eigene Räumlichkeiten bzw. Mitarbeiter in Zivil für den Opferschutz geschaffen. Es braucht aber sicherlich viel mehr im gesamten Territorium. In Bozen spricht man seit Jahren über ein weiteres Frauenhaus. Es hat sich einiges getan, aber es braucht noch viel mehr.