Im heutigen 3. Teil: Das Ende der zweiten Taiwankrise 1958 – Haben Kissinger und Nixon Taiwan verraten?<BR /><BR />Die Krise endete am 6. Oktober, als Chinas Verteidigungsminister <b>Peng Dehuai</b> das Ende des Bombardements ankündigte und Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Problems mit den Nationalisten vorschlug. Er verwies auf die Gespräche in Warschau, wo beide Seiten allerdings auf ihren Positionen bestanden: Peking forderte den Rückzug der amerikanischen Truppen aus Taiwan und den umliegenden Gewässern, Washington von China den Gewaltverzicht mit Blick auf Taiwan. Die Gespräche endeten wieder erfolglos. Für die nächsten Jahre beharrten beide Seiten auf ihren Positionen.<BR /><BR />Was waren diesmal Maos Vorhaben? Die Antworten fallen unterschiedlich aus, vieles bleibt wie bei der ersten Krise Spekulation. Sicher war es auch hier ein Test, um herauszufinden, wie weit die USA bei der Verteidigung der Insel gehen würden. <b>Henry Kissinger</b> sah 2011 das alles überragende Motiv in Maos Wunsch, in der großen Politik <i>„mitzumischen“</i>. Überliefert ist eine Äußerung von Mao, dass er mit dem Bombardement den Amerikanern <i>„eine Lektion erteilen wollte“</i>. Die hätten im Nahen Osten ein Feuer entfacht, <i>„und wir haben eines im Fernen Osten entfacht.“</i><BR /><BR />Mit dem<i> „Feuer im Nahen Osten“</i> hatte er die Aktion der USA im Libanon gemeint. Dort waren im Juli des Jahres auf Ersuchen des libanesischen Staatspräsidenten <b>Kamil Schamun</b> US-Marines gelandet. Die Sowjetunion hatte zwar auch protestiert, aber aus der Sicht von Mao offensichtlich zu zurückhaltend. Es war China vorbehalten, die richtige Antwort zu geben und die USA zu Gesprächen zu <i>„zwingen“.</i><h3> Henry Kissinger in Peking</h3>Im Februar 1972 besuchte Präsident <b>Nixo</b><b>n</b> eine Woche China. Am Ende meinte er, diese Woche habe die Welt verändert. Mit seinem Besuch hatte er ein neues Kapitel in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen aufgeschlagen. Zur Vorbereitung der Reise war sein damaliger Nationaler Sicherheitsberater, Henry Kissinger, im Juli 1971 in Peking.<BR /><BR />In seinen „Memoiren“ schildert er seine erste Begegnung und die Gespräche mit <b>Tschou En-lai</b> ausführlich, obwohl er einiges <i>„verkürzt“</i> wiedergibt. Beide Seiten waren sich über die Bedeutung der neuen Politik einig, beide wollten daher den Besuch Nixons, aber die Chinesen verbanden damit noch mehr: Taiwan. Taiwan spielte eine große, vielleicht sogar die entscheidende Rolle in diesen Gesprächen: Die USA, so Tschou, müssten ihre Beziehungen mit Taiwan beenden und Pekings Besitzansprüche anerkennen. Falls nicht, sollte man lieber auf den Besuch Nixons verzichten. <BR /><BR />Das war zu diesem Zeitpunkt schon keine Option mehr für die Amerikaner. Da für sie der Vietnamkrieg im Mittelpunkt stand, waren sie in gewisser Weise vom Erfolg ihrer Chinapolitik abhängig, immer in der Hoffnung, dass China Druck auf Nordvietnam ausüben werde. Der Nixon-Besuch war für sie wichtiger als für die Chinesen. Das erklärt wohl auch die insgesamt sehr erstaunliche Reaktion Kissingers auf die Taiwan-Forderungen Tschous: Er machte weitgehende Zugeständnisse.<BR /><BR /> Zunächst kam der Hinweis auf Vietnam: Wenn dort Frieden herrsche, würden die USA die meisten ihrer Truppen aus Taiwan abziehen. Dann werde sich das Problem mit der Zeit von selbst lösen, wohl im Sinne Chinas. Die USA würden jedenfalls eine zwei Staaten-Politik, also ein China und ein Taiwan, nicht unterstützen, auch kein unabhängiges Taiwan; auch keinen Angriff Taiwans auf China. Wenn China bis nach den Präsidentenwahlen 1972 warten könne, dann, so Kissinger, werde der Präsident die formalen Bindungen mit Taiwan beenden und die Volksrepublik anerkennen. Kissinger ging noch einen Schritt weiter und behauptete, die Verteidigung der Insel sei ein historischer Fehler der USA gewesen. In seinen „Memoiren“ schreibt er: <i>„Taiwan wurde auf der ersten Sitzung nur kurz erwähnt.“</i><BR /><BR />Als das State Department im Jahr 2006 die entsprechenden Dokumente veröffentlichte, wurde deutlich, dass das nicht stimmte. Taiwan war ein zentrales Thema der Gespräche gewesen. Kissinger machte die erwähnten Zusagen, in seinen „Memoiren“ erwähnt er sie nicht. <h3> Haben Kissinger und Nixon Taiwan verraten?</h3>Als Tschou Mao über Kissingers Zusage, wonach die Amerikaner ihre Truppen aus Taiwan abziehen würden, informierte, meinte der ganz philosophisch, ein Affe brauche halt Zeit, um sich in einen Menschen zu verwandeln; die Amerikaner seien zur Zeit in der Affenphase; sie hätten einen Schwanz, aber der sei noch zu kurz. In der Taiwanfrage habe man jedenfalls noch Zeit. Genauso wenig schmeichelhaft äußerte sich Tschou zu Kollegen über Nixon, der unbedingt eine Einladung erhalten wollte und sich „<i>wie eine Hure aufgetakelt habe“ </i>und <i>„dann vor der Tür stand“.</i><BR /><BR />Und aus dem Revolutionär Mao war inzwischen offensichtlich ein Philosoph geworden. In der kurzfristig nach der Landung in Peking im Februar 1972 anberaumten Unterredung mit Mao wollte der nämlich zur Überraschung Nixons und Kissingers gar nicht über Politik, sondern eher über <i>„philosophische Fragen“</i> sprechen. Mit einer Ausnahme: Taiwan. Mao schlug die Verbindung zur Vergangenheit, was Nixon und Kissinger aber offensichtlich nicht verstanden. Das für China entscheidende Problem nannte er <i>„ein kleines Problem“, </i>mit dem man vorläufig leben könne, denn <i>„in Wirklichkeit ist die Geschichte unserer Freundschaft mit ihm (Chiang) viel älter als die Geschichte Ihrer Freundschaft mit ihm.“</i> Taiwan sei ein innerchinesisches Problem. <BR /><BR />Die Botschaft war klar: Taiwan war zwar ein innerchinesisches Problem (aber irgendwie auch ein amerikanisches), würde aus der Sicht von Mao in den folgenden politischen Gesprächen aber kein Stolperstein sein, um den Erfolg dieser Begegnung nicht zu gefährden. Allein schon das Treffen war die Garantie für den Erfolg. Das wurde mit dem Bild, in dem sich Mao und Nixon die Hände reichten, auch öffentlich unterstrichen. Und das Bild zeigte noch mehr: Der Vertreter einer Weltmacht erkannte den anderen als gleichberechtigt an. <BR /><BR />Zum Abschluss des Besuchs wurde in Schanghai ein Kommuniqué veröffentlicht, auf das sich Kissinger und Tschou nach endlosen Verhandlungen geeinigt hatten. Im Mittelpunkt hatte dabei erneut das Taiwan-Problem gestanden.<BR /><BR />Da hieß es jetzt:<BR /><i>„Die Regierung der USA erkennt an, dass alle Chinesen beiderseits der Straße von Taiwan behaupten, es gebe nur ein China und Taiwan sei ein Teil Chinas. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat gegen diese Auffassung nichts einzuwenden. Sie bestätigt erneut ihr Interesse an einer friedlichen Lösung der Taiwan-Frage durch die Chinesen selbst. Unter Berücksichtigung dieser Möglichkeit bestätigt sie den Abzug aller amerikanischen Streitkräfte und den Abbau der militärischen Einrichtungen auf Taiwan als letztes Ziel. Bis dahin werden die USA schrittweise ihre Streitkräfte und militärischen Einrichtungen auf Taiwan verringern, während die Spannungen in diesem Gebiet abgebaut werden.“</i>Dieses „Schanghai-Kommuniqué“ wurde in den folgenden Jahren so etwas wie die <i>„heilige Schrift“</i> für Peking.<BR /><BR />Bei Taiwan hatten Nixon und Kissinger ohne Not bislang gehaltene Positionen aufgegeben, auch zum ersten Mal auf ein Veto in der UNO verzichtet, als die im Oktober 1971 mehrheitlich beschloss, die Republic of China (Taiwan) gegen die Volksrepublik China auszutauschen. Chiang war zutiefst enttäuscht von Nixon. In sein Tagebuch schrieb er: <i>„Nixon der Clown, der uns verraten hat.“</i><BR /><BR />Die US-Historikerin <b>Nancy Tucker</b> sah das 2009 ähnlich und brachte es auf den Punkt. Nixon und Kissinger, <i>„haben bereitwillig einen Verbündeten verraten.“</i> Und Kissinger beurteilte sie so: Der habe die Bedeutung Taiwans für China nie wirklich begriffen. Im Jahr 2011 ging Kissinger auch auf das Taiwan-Thema ein. Er habe jede <i>„sofortige Verpflichtung“ </i> vermieden. Eine überzeugende Rechtfertigung seines Handelns war das allerdings nicht. China und die USA waren jedenfalls, so Kissinger 1973, zu <i>„stillschweigenden Verbündeten“</i> (tacit allies) geworden. Das zählte offensichtlich mehr.<h3> Kein Spielraum für die USA</h3>1974 war Kissinger wieder in Peking zu Gesprächen mit Ministerpräsident <b>Den Xiaoping</b> zur Vorbereitung des Besuchs von Präsident <b>Gerald Ford</b>. Wieder stand Taiwan im Mittelpunkt.<BR /><BR />Deng machte noch einmal die chinesische Position klar:<BR /> lehnen alles ab, was zu Lösungen wie <i>„zwei Chinas“,</i><i>„ein China, ein Taiwan“</i> oder ähnlichem führen könnte.<BR /> Die Lösung der Taiwanfrage ist eine Angelegenheit des chinesischen Volkes, die allein dem chinesischen Volk vorbehalten bleiben muss. Welche Mittel letztlich benutzt werden, um die Frage zu lösen – ob friedlich oder nicht friedlich –, ist eine innere Angelegenheit, die ebenfalls allein das chinesische Volk zu entscheiden hat.<BR /> Peking akzeptiert nicht, dass irgendein anderes Land in die Lösung der Taiwanfrage eingreift, auch nicht die USA.<BR /><BR />Diese Position ließ praktisch keinen Spielraum mehr für die USA. Kissinger verwies auf Maos Äußerung gegenüber Nixon, wonach China bereit sei, hundert Jahre auf die Vereinigung mit China zu warten. Deng akzeptierte das, meinte aber, die Zahl sei nur symbolisch gemeint gewesen. In Bezug auf die Beziehung der Volksrepublik zu Taiwan könne er <i>„nicht an einen friedlichen Übergang glauben“</i>.<BR /><BR />In China versuchte die radikale <i>„Viererbande“</i> wenig später, die Macht an sich zu reißen und überzeugte Mao, dass Deng Xiaopings Reformen für konterrevolutionäre Proteste verantwortlich waren. Deng verlor daraufhin sämtliche Parteiämter und wurde erneut verbannt. Gleichzeitig verschlechterten sich die Beziehungen zu den USA. Am 9. September 1976 starb Mao Tse-tung. Mit der Verhaftung der „Viererbande“ am 9. Oktober entschieden die Moderaten den innerchinesischen Machtkampf für sich. Wenige Monate später übernahm Deng die Führung Chinas und bestimmte die Geschichte des Landes bis zu seinem Tod im Jahr 1997.<BR /><BR /><b>Zur Person</b><BR /><BR />Rolf Steininger, von 1984 bis 2010 Leiter des Instituts für Zeitge- schichte der Universität Innsbruck<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1154325_image" /></div> <BR /><BR />Neuerscheinung: Rolf Steininger, „Die USA und China. Von der Empress of China 1784 bis zur Gegenwart“, Studienverlag Innsbruck 2025, 367 Seiten. Auf diesen Seiten wird der Inhalt des Buches in den nächsten Tagen in 6 Teilen vorgestellt. Teil I ist am 3.4.2025 erschienen und TeilII am 7.4.2025.<BR /><BR />Bestellen: www.athesiabuch.it