Es handelt sich um das krasseste, verrückteste und schonungsloseste Enduro Rennen der Welt, selbst die Top-Athleten haben einen Heiden-Respekt vor dem „Berg aus Eisen“. <BR /><BR />So wird in der Szene der Erzberg genannt, ein riesiges Gelände, wo seit dem 11. Jahrhundert Eisenerz und insbesondere Siderit abgebaut wird. Infolge des Abbaus hat sich eine stufenartige Geländeform gebildet, die seit 1995 Schauplatz des Red Bull Erzbergrodeos ist. Dieses Eintages-Rennen verlangt den Fahrern alles ab und hat gerade deshalb in der Szene Kult-Charakter – von 500 Startern schaffen es nur eine Handvoll Athleten tatsächlich in der vorgegebenen Zeit ins Ziel.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037655_image" /></div> <BR /><BR />„Erst als ich realisiert habe, worauf ich mich da überhaupt einlasse, musste ich schon mal schlucken“, räumt Gerhard Kerschbaumer ein. Er habe sich gar keine großen Gedanken gemacht, als er sich die Teilnahme in Form einer Wette einbrockte. Sein Enduro-Kollege Jürgen Thaler hatte ihm erzählt, wie „hart und brutal dieses Rennen“ sei, woraufhin Gerhard Kerschbaumer meinte, das wolle er ausprobieren. „Na gut, dann her mit deiner Hand“, meinte Thaler und so war die Wette besiegelt. <BR /><BR /><b>Die Defizite des ehemaligen Mountainbike-Profis</b><BR /><BR />Der Eisacktaler Topathlet, der Ende 2022 seine MTB-Karriere ausklingen ließ, kann zwar mit herausragender Ausdauer und dem nötigen Feingefühl im schwierigen Gelände punkten, allerdings kommen beim Enduro-Sport nochmals vollkommen andere Aspekte zum Tragen. „Es fehlt die Kraft im Oberkörper: Hände, Arm, Schultern, Rücken und Bauchbereich werden durch die Manöver mit der schweren Maschine viel stärker beansprucht. In dieser Hinsicht fehlts schon gröber, was ich allerdings auch wusste“. Mit spezifischen Krafttraining und einigen Rennen im Vorfeld versuchte er diese Defizite auszumerzen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037658_image" /></div> <BR /><BR />Als es dann am vergangenen Wochenende am Erzberg zum großen Showdown kam, musste sich Gerhard Kerschbaumer mit rund 1300 weiteren Startern zunächst den Prolog-Rennen stellen. „Vor diesen Prolog-Rennen hatte ich einen Heidenrespekt, weil es da bloß um Geschwindigkeit geht – mit Vollgas rauscht man die enge Strecke hoch“, sagt er. Nur die schnellsten 500 Fahrer qualifizieren sich für den Hauptbewerb am Sonntag, Kerschbaumer krallte sich immerhin den 80. Startplatz. Und dann, um 13 Uhr mittags, hieß es für die verwegenen Kerle: Go! <BR /><BR /><b>Von 500 qualifizierten Startern kommen 8 ins Ziel</b><BR /><BR />Beim Red Bull Erzbergrodeo müssen die Enduro-Fahrer extrem steile Hänge, matschige Abschnitte, rutschige Waldpassagen mit Wurzelwerk und brutale Geröllfelder bewältigen, die Passagen tragen Namen wie „Ludwig’s Land“, „Dynamite“ oder „Carl’s Dinner“. Nach und nach kommen Mensch und Maschine an ihr Limit, das Adrenalin und die Kraft gehen irgendwann zur Neige, reihenweise beißen sich die Starter an den vielen Prüfungen des Erzbergs die Zähne aus.<BR /><BR /><BR />Apropos Limit: Das Zeitlimit beträgt 4 Stunden, der Rest des Feldes wird anhand der bewältigten Checkpoints klassifiziert. Lediglich 8 der ursprünglich 500 Starter erreichten am vergangenen Sonntag das Ziel in der vorgegebenen Zeit, der Deutsche Manuel Lettenbichler (26) fuhr dabei in einer eigenen Kategorie und krönte sich zum 3. Mal zum Sieger. Gerhard Kerschbaumer bewältigte 25 Checkpoints und kam somit im Endklassement zu einem nicht für möglich gehaltenen 29. Platz inmitten all der Enduro-Spezialisten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037661_image" /></div> <BR />Sein knackiges Fazit: „Es war brutal, aber auch brutal bärig – diese Erfahrung wird mir sicherlich nicht mehr aus dem Kopf gehen.“ Dabei verweist der 32-Jährige auch auf sein kleines Team sowie auf weitere Starter aus Südtirol. In die Top 100 schaffte es neben Gerhard Kerschbaumer auch noch Maximilian Zelger (Rang 74), Rang 120 gab es für Manuel Eschgfeller, Platz 126 für Johannes von Klebelsberg, der ebenfalls vom Mountainbike-Sport (Downhill) kommt. <BR /><BR />Mehr als 10 Jahre war Gerhard Kerschbaumer MTB-Profi, heute kann er auf einen Weltcup-Sieg, einen Vize-Weltmeistertitel im Jahr 2018, eine Olympia-Teilnahme in London 2012, mehrere Italienmeistertitel und Triumphe bei internationalen Cross-Country-Rennen zurückblicken. <BR /><BR /><b>Keine Zeit, um in ein Loch zu fallen</b><BR /><BR />Im Oktober 2019 heiratete er seine langjährige Freundin Elisabeth Hofer, knapp 2 Monate später kam Söhnchen Jakob zur Welt, Ende 2020 sagte er dem Rennsport Adieu. Viele Profisportler tun sich schwer mit dem Karriereende, das gezwungenermaßen einen Einschnitt in der Lebensplanung markiert.<BR /><BR /> Viele müssen sich völlig neu orientieren, manche fallen dabei in ein tiefes Loch, weil sie sich bisher hauptsächlich über ihre Leistung im Sport definiert haben. Wenngleich Gerhard Kerschbaumer längst ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen hat, kann er diese Problematik absolut nachvollziehen: „Ich hatte 25 Rennen im Jahr und habe darauf mein Training und meinen Alltag ausgerichtet, und plötzlich muss man sein Leben komplett neu ausrichten.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037664_image" /></div> Der ehemalige MTB-Profi ist jetzt Bauer. Zusammen mit seinen Eltern Sepp und Agnes sowie seiner nunmehr 4-köpfigen Familie (Jakob hat mit Tobias nun ein Brüderchen bekommen) bewirtschaftet er den idyllisch gelegenen Unterplattnerhof in Verdings. Dort geht die Arbeit nie aus: Die Kühe im Stall wollen versorgt werden, im Wald werden immer wieder Forstarbeiten fällig und natürlich sollen sich auch die Gäste am Hof rundum wohl fühlen. <BR />„Mein Vater hat schon vor 20 Jahren begonnen, den Hof umzustellen, was auch dazu geführt hat, dass wir heute Mutterkuhhaltung haben und keine Milch mehr stellen“, sagt Neo-Bauer Gerhard. Ein besonderer Hingucker sind die naturbelassenen Holzhäuser sowie die große Tierschar mit Schafen, Pferden und Geflügel. In den Wintermonaten ist er sich auch nicht zu schade, in der Gemeinde mit Schneepflugarbeiten auszuhelfen. <BR />„Allerdings habe ich auch gemerkt, dass ich hin und wieder einen Wettkampf brauche, egal ob es nun ein Mountainbike- oder Endurorennen ist“, meint er verschmitzt. Gelegentliche kleine Ausritte ist für die Lebensqualität eines ehemaligen Topathlet eben essenziell – wer kanns ihm verdenken?