<b>STOL: Die Musik und vor allem die Gitarre nehmen in deinem Leben eine zentrale Rolle ein. Wie sieht diese Rolle aus?</b><BR /><BR />Jonas Rabensteiner: Die Musik war schon von Kindesbeinen an mein ständiger Begleiter: Ich komme aus einer musikalischen Familie, in der fast täglich zusammen gesungen wurde. Irgendwann habe ich dann die Gitarre für mich entdeckt und festgestellt, dass mich dieses Instrument total erfüllt. Nach dem Schulabschluss war für mich deshalb klar, dass ich die Musik und vor allem die Gitarre zu meinem Lebensmittelpunkt machen wollte. Ich habe dafür in München und Mailand ein Gitarrenstudium absolviert, mich anschließend immer mehr für Musikproduktion interessiert und angefangen im Studio Songs zu produzieren – auch für meine eigene Band Stunde Null. Mit Stunde Null waren wir in den Jahren vor der Pandemie sehr viel unterwegs und haben einige tolle Erfolge eingefahren. Da habe ich erkannt, dass dieses Gefühl auf der Bühne zu stehen genau das ist, was mir am meisten Spaß macht. Weil das durch Corona aber in den vergangenen beiden Jahren unmöglich war, habe ich mich mehr auf die Arbeit im Studio fokussiert. Jetzt freue ich mich sehr, dass in diesem Sommer endlich wieder Konzerte und Festivals stattfinden können.<BR /><BR /><i>Stunde Null veröffentlichte Anfang 2021 ihr 3. Studioalbum „Wie laut die Stille schreit“ und landete damit auf Platz 11 der Deutschen Charts. Unten sehen Sie das Video zur Single „uneinig einig“.</i><BR /><BR /> <video-jw video-id="AvRov4au"></video-jw> <BR /><BR /><b>STOL: Was lässt dich so sicher sein, dass Musik die eine Sache ist, die du in deinem Leben machen willst?</b><BR /><BR />Rabensteiner: Darüber habe ich selbst schon sehr oft nachgedacht, trotzdem ist es schwierig zu erklären. Ich habe ein Gefühl der Sicherheit, wenn ich Musik mache, das mir durch nichts Anderes vermittelt werden kann. Durch die Musik kann ich mich – wie wohl die meisten anderen Musiker auch – am treffendsten ausdrücken. Egal, ob ich selber Musik mache, ob ich auf einem Konzert einer anderen Band zuhöre, oder in einem Film plötzlich eine schöne Melodie gespielt wird: Ich bin jedes Mal gefesselt davon und es gibt nichts Anderes, das mich so mitreißen kann, wie die Musik.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54269470_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Es gab in deinem Leben aber einen Abschnitt, in dem dieses Gefühl der Sicherheit verloren gegangen ist…</b><BR /><BR />Rabensteiner: Es hat in meinem Leben immer wieder Phasen gegeben, die nicht einfach für mich waren. In diesen Zeiten war die Musik aber immer mein Anker. Bei jedem Problem konnte ich immer wieder auf die Musik zurückgreifen, die mich aufgefangen hat. Weil ich es im Studium aber zu meiner Hauptaufgabe gemacht habe, mich täglich mit Musik zu beschäftigen, - und das über Stunden - habe ich den Ausgleich verloren. Zuerst bin ich zur Schule gegangen und habe in der restlichen freien Zeit Gitarre gespielt. Plötzlich habe ich dann beim Studium nur noch Gitarre gespielt. Dabei ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten und ich habe im letzten Jahr meines Studiums eine neurologische Störung (Fokale Dystonie) entwickelt. Diese Krankheit hat das Gitarre spielen für mich nahezu unmöglich gemacht und dazu geführt, dass es mir eigentlich immer schlecht ging, wenn ich zur Gitarre gegriffen habe. Damit war das Musizieren für mich nur noch mit Zwang und enormen Druck verbunden. Warum mir Musik so viel bedeutet, habe ich in dieser Zeit völlig aus den Augen verloren.<BR /><BR /><BR /><b>STOL: Wie hat sich die Fokale Dystonie bei dir geäußert?</b><BR /><BR />Rabensteiner: Erste Anzeichen habe ich beim Üben im Studium bemerkt: Plötzlich fühlte es sich anders an, wenn meine Finger auf dem Griffbrett lagen. Ich hatte nicht mehr die gewohnte Sicherheit und von einem Tag auf den anderen konnte ich bestimmte Musikstücke nicht mehr spielen, die vorher noch absolut innerhalb meiner Fähigkeiten gelegen hatten. Zuerst habe ich gedacht, das liegt nur daran, dass ich etwas außer Übung war und habe deshalb noch viel mehr geübt, um auf mein altes Level zurück zu kommen. Das ist dann völlig ausgeartet: Ich habe täglich nur noch wenige Stunden geschlafen und die restliche Zeit nur noch geübt. Trotzdem – oder gerade deswegen - wurden die Symptome immer schlimmer: Die Muskulatur meiner Arme hat sich beim Spielen total verkrampft und meine Hand hat unkontrolliert gezuckt, sobald ich sie auf die Gitarre gelegt habe. Irgendwann kam schließlich der Punkt, an dem ich keinen Ton mehr spielen konnte.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54269416_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Du wolltest dein Instrument in Perfektion beherrschen. Am Ende konntest du keinen Ton mehr spielen. Was hat das mit dir gemacht?</b><BR /><BR />Rabensteiner: Ich habe mir über Monate nicht eingestanden, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte und stets daran geglaubt, dass ich es in den Griff bekommen kann, wenn ich nur mehr übe. Dass das nichts gebracht hat, hat mich schließlich in eine tiefe Depression gestürzt. Ich war am Boden, habe meine Gitarre gegen die Wand geknallt und bitterlich geweint. Musik und die Gitarre waren in dieser Zeit mein einziger Lebensinhalt und plötzlich konnte ich diese Leidenschaft nicht mehr ausleben. An diesem Punkt hat mein Leben für mich eigentlich keinen Sinn mehr gemacht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="768644_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Heute stehst du aber wieder auf der Bühne. Wie hast du dich aus dieser Krise zurück gekämpft?</b><BR /><BR />Rabensteiner: Ich habe erkannt, dass es so nicht mehr weitergehen kann und zunächst eine Pause eingelegt – ganz ohne Musik. Weil ich aber einfach nicht aufgeben wollte, habe ich begonnen mich zu informieren und verschiedene Ärzte zu konsultieren. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht, was mein Leiden auslöst. In Hannover habe ich schließlich einen Spezialisten gefunden, der sich auf genau solche Krankheiten wie in meinem Fall spezialisiert hat. Er hat mir die Krankheit Fokale Dystonie diagnostiziert. Für mich war das zunächst eine Erleichterung, weil ich schon so lange nach den Gründen für meine Beschwerden gesucht hatte, aber niemand mir eine Antwort geben konnte. Obwohl ich dann mit verschiedenen Therapien begonnen und auch Medikamente eingenommen habe, konnte ich meine ursprüngliche Freude an der Musik nicht wiederfinden und ebenso wenig die Leistung erbringen, wie vor Ausbruch der Krankheit. Sobald ich die Medikamente abgesetzt habe, kamen die Krämpfe zurück und mir wurde klar, dass das so keine dauerhafte Lösung für mich sein kann. Ohne Freude an der Musik, wollte ich lieber völlig damit aufhören. Das hatte ich eigentlich auch vor und wollte einen anderen Weg einschlagen. Schnell musste ich aber feststellen, dass ganz ohne die Musik keine Freude in mein Leben zurückkehren konnte. Deshalb wollte ich einen Neustart wagen und lernen, mit einer Linkshänder-Gitarre zu spielen. Im Dezember 2016 habe ich mir also eine Linkshänder-Gitarre gekauft und angefangen erste Akkorde darauf zu spielen. Das Umlernen war ein wahrer Kraftakt: Zuerst konnte ich nur etwa 15 Minuten spielen, dann eine halbe Stunde und irgendwann eine ganze Stunde. Weil ich in dieser Zeit nicht mehr so hart zu mir selbst war, habe ich zum ersten Mal wieder die Freude beim Gitarre spielen gespürt, mit der ich begonnen hatte dieses Instrument zu lernen. Ein halbes Jahr später stand ich dann zum ersten Mal wieder mit meiner Band auf der Bühne – und spielte nicht mehr mit rechts, sondern mit links. Von da an lief es wirklich gut für mich, ich konnte mich wieder voller Zuversicht in die Musik stürzen, wir gingen auf Tour und ich habe mit der Arbeit im Studio begonnen. Endlich konnte ich das Leben leben, dass ich mir die ganze Zeit gewünscht hatte.<BR /><BR /><b>STOL: Was nimmst du aus der Zeit mit, in der du diese Schwierigkeiten überwunden hast?</b><BR /><BR />Rabensteiner: Ich habe gelernt, dass der Körper dir Zeichen gibt, wenn er überlastet wird, auf die man auch hören sollte. Ich habe das nicht gemacht und immer weiter 10 bis 12 Stunden geübt, egal wie groß der Schmerz in meinen Armen war, oder ob ich Fieber hatte. Wenn es zu viel wird, muss man lernen „Stopp“ zu sagen. Es bringt nichts, wenn man sich selber verbrennt. Ich habe außerdem in dieser Zeit eindrücklich demonstriert bekommen, dass man sich auf Freunde und Familie verlassen kann, wenn man sie braucht und vor allem, dass man nicht alles allein bewältigen kann.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54269475_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: In Musikerkreisen munkelt man, dass du schon bald wieder mit einer Rechtshänder-Gitarre auf der Bühne stehen wirst - so wie vor der Krankheit.</b><BR /><BR />Rabensteiner: Vor etwa eineinhalb Jahren habe ich gemerkt, dass die Krämpfe im Unterarm nachgelassen haben. Da wurde ich neugierig und wollte herausfinden, ob es tatsächlich möglich sein könnte, wieder so zu spielen, wie ich es über Jahre gelernt hatte. Mein Arzt in Hannover hat mir dann bestätigt, dass er die eigentlich unheilbare Krankheit Fokale Dystonie bei mir nicht mehr diagnostizieren kann. Ich weiß nicht genau wie, aber wahrscheinlich ist es mir tatsächlich wieder so gut gegangen, dass ich die Krankheit loswerden konnte. Ich habe mir dann das Ziel gesetzt, wieder auf die ursprüngliche Seite – also auf rechts – umzulernen, weil mir das ein neues Ziel vor Augen gegeben hat. Mir war klar, dass das kein leichter Weg wird, den ich nur bewältigen kann, wenn ich mich in dieser Zeit viel mit mir selbst beschäftige. Wie mir mein Arzt geraten hat, habe ich dafür psychologische Hilfe in Anspruch genommen, was mir extrem dabei geholfen hat, mich selbst zu verstehen. Diese Hilfe werde ich auch in Zukunft weiter in Anspruch nehmen, weil sie mir ein gutes Gefühl gibt und weil ich gelernt habe, dass ich nicht alles selber kontrollieren kann. Was ich in den vergangenen eineinhalb Jahren besonders gelernt habe: Man hat gute Tage, man hat schlechte Tage. Man sollte das nicht immer allzu ernst nehmen und die eigene Situation manchmal von außen betrachten, dann fällt vieles leichter. Auch Meditation, gezielte Atemübungen, Physiotherapie oder Eisbäder haben mir geholfen, mental und körperlich stark zu werden. Das Üben an der Gitarre war dann nur noch das letzte Puzzlestück. Am kommenden Samstag ist es dann beim „Schrei der Berge Festival“ in Barbian soweit: Ich spiele zum ersten Mal seit Jahren wieder mit rechts vor Publikum. Darauf freue ich mich ungemein. Zum einen weil ich diese Zeit gut überstanden habe und zum anderen, weil ich einfach froh darüber bin, dass wir endlich wieder auftreten und unter normalen Umständen ein Konzert spielen dürfen.<BR />