Wenn es eine Zeit gibt, in der auf meinem kleinen, hellen Friedhof das halbe Dorf Einkehr hält, dann um Allerheiligen. Da wird geschrubbt, gekehrt und gewischt, bis Grabsteine aussehen, als hätte man sie frisch poliert. Da werden Gestecke arrangiert, Urnen dekoriert und fast möchte man meinen, es gäbe einen geheimen Wettbewerb um den schönsten Blumenschmuck. <BR /><BR />Manchmal sitze ich auf der schmalen Bank im Schatten der kleinen Kapelle und schaue dem Kommen und Gehen zu… den Alten, wie sie mit zittrigen Händen Kerzen anzünden, den Teenagern, die überall sein wollen, nur bitte, bitte nicht hier, den Müttern mit ihren Kleinen, die noch nicht wissen, dass ein Friedhof kein Spielplatz ist, den Trauernden, die mit gesenktem Kopf vor frischer Erde stehen und nicht loslassen wollen, den Verliebten, die rosarote Brillen und ein Lächeln tragen, den Neidern mit hungrigem Blick, den Verbitterten, die ihre Lebenslast in harte Züge schneiden. <BR /><BR />Und dann sind da noch jene, die nirgends hingehören, weil sie ganz alleine sind. Mit leeren Augen stehen sie da wie Gespenster… verloren in der Einsamkeit. Auf meinem Friedhof gibt es zwei von ihnen. Wenn ich sie sehe, muss ich daran denken, wie das wohl sein wird, wenn mein Name auf einem Grabstein steht. Wird noch jemand wissen, wer ich war, in 60, 70, 100 Jahren? Oder hat mein kleines Sein keine Spuren hinterlassen im Moos der Zeit… <BR /><BR />Ich weiß es nicht. Doch wenn ich erlebe, wie im geschäftigen Treiben dieser Tage die Erinnerung lebt, betritt Ruhe meinen Geist. Denn solange wir uns erinnern, und sei es „nur“ im Gräberputz um Allerheiligen, leben unsere Verstorbenen. <BR /><BR />Und wenn ich dann nach innen schaue, bis über die Ränder, sehe ich zwei Kinder, die untrennbar miteinander verbunden sind und Hand in Hand ins Licht gehen. Sie heißen Bruder Tod und Schwester Leben.<BR />