Sicherlich nicht alles, aber doch sehr vieles von dem, was Doris Warasin (43) über die Jahre mit vielen Weggefährtinnen und Mitstreitern mehr oder weniger aus dem Nichts auf die Beine gestellt hat, lässt sich mit einem überraschenden Satz aus ihrem Mund erklären: „Ich brauche eigentlich gar nicht das Scheinwerferlicht und suche auch nicht den Mittelpunkt, sondern arbeite sehr gerne im Team, und nehme mich auch dort lieber zurück.“ <BR /><BR />Flache Hierarchien und Begegnungen auf Augenhöhe sorgen für ein motivierendes Umfeld, ist sie überzeugt, eine wegweisende Erfahrung machte sie in dieser Hinsicht während ihrer Ausbildung zum Vocal Coach in Kopenhagen.<h3> Eine „exotische“ Berufswahl</h3>Überraschend ist der Satz deshalb, weil sie doch seit jeher die Bühne gesucht hat, bereits als Kind eine umfangreiche musikalische Ausbildung genießen durfte und später alles auf diesen Berufswunsch setzte: Musicaldarstellerin. Ein für Südtiroler Verhältnisse exotisch anmutendes Berufsbild, denn damit muss man zwangsläufig sein Glück anderswo suchen. <BR /><BR />Doch für Doris Warasin war mit ihrer Berufswahl vor über 20 Jahren auch klar: Alles kein Problem, ich gehe eben dorthin, wo ich zum Zug komme. 10 Jahre lang ging dieser Plan auf, doch letztlich ist alles völlig anders gekommen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="916120_image" /></div> <BR />Fast 400 Anmeldungen verbuchte „Murx“ im Schuljahr 2022/23 für Kurse und Unterrichtseinheiten in den 3 Sparten Tanz, Gesang und Schauspiel. Das sind beinahe 400 Kinder und Jugendliche sowie einige Erwachsene, die das umfangreiche Ausbildungsangebot dieses ungewöhnlichen Kulturvereins in Anspruch genommen haben. Das Spektrum reicht von Ballett bis Bühnenworkshops, von Gesangstrainings bis Broadway Jazz. <BR /><BR />Rund 4800 Zuschauer wohnten den Aufführungen bei, von Masken- und Kostümbildnern über Technikern und Musikern bis hin zu Regisseuren bilden mehr als 20 Personen das sogenannte „Kreativteam“, dazu kommen noch an die 10 bis 12 Dozenten in der Academy. Allein diese wenigen Zahlen lassen das Ausmaß des Kulturvereins „Murx“ erahnen, umso erstaunlicher ist, dass letztlich alle Fäden bei einer einzigen Frau zusammenlaufen: Doris Warasin. <h3> Ein enormes Pensum</h3>Somit hat sie immerzu ein enormes Pensum zu bewältigen: Kindern und Eltern die Kursinhalte erläutern, Dozenten gewinnen, Aufführungen planen, auf Kosten achten, technisch auf der Höhe der Zeit bleiben, Sponsoren anwerben, den ganzen Laden eben am Laufen halten.<BR /><BR /> Allerdings sagt sie das eher kleinlaut, schließlich gehe es um das große Ganze, nicht um ihre Person. „Künftig werden wir uns sicherlich etwas anders aufstellen, aber unterm Strich ist es gerade die Präsenz vor Ort unsere große Stärke“, erklärt die Girlanerin. Damit meint sie Dinge wie Begeisterungsfähigkeit, Motivation und familiäre Atmosphäre, all das fasst sie unter dem gängigen Begriff „positive Vibes“ – also positive Schwingungen – zusammen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="916123_image" /></div> <BR /><BR />Sich positive Vibes zu bewahren angesichts der emotionalen Achterbahnfahrt darf als Talent für sich gewertet werden, manche sagen dazu Resilienz. Rückblende auf das Jahr 2010: „Das letzte, was ich für meinen Lebensplan damals vorgesehen hatte, war eine Rückkehr nach Südtirol. Aber dann kam etwas nicht ganz Unwesentliches dazwischen: Ich wurde schwanger.“ <BR /><BR />Zuvor hatte sie ihren ohnehin kühnen Plan verwirklicht, wirkte rund 10 Jahre in Musicalproduktionen wie „West Side Story“, „Jekyll and Hyde“ oder „Evita“ in ganz Europa mit und hatte sich in der Szene zweifellos einen Namen gemacht. Mehr oder weniger über Nacht musste sie ihre Pläne radikal ändern, als alleinerziehende Mutter kehrte sie der Großstadt Wien den Rücken und zog wieder nach Girlan. „Ich dachte, wie tief kann man nur sinken, das war’s“, meint sie heute. <h3> Ein verwegenes Projekt</h3>Bald schon trudelte eine Anfrage der Musical School in Bozen für eine Mitarbeit bei ihr ein. Dort war auch Antonia Tinkhauser tätig, fortan würden sie zusammen ein kongeniales Gespann bilden. „Wir hatten einfach unsere ureigenen Vorstellungen von einer derartigen Institution, nährten zusammen unsere Träume und begannen schließlich in den Jahren 2012 und 2013, dieses Projekt namens Murx in die Tat umzusetzen“, sagt sie. <BR /><BR />Welch verwegenes Projekt – eine im Überetsch beheimatete Ausbildungsstätte für 3 Sparten der Bühnenkunst: Tanz, Gesang und Schauspiel. Wobei die professionelle Schauspielerin Antonia Tinkhauser den Fokus naturgemäß auf das Schauspiel setzte und dabei auch großen Wert auf Eigenproduktionen legte. Doris Warasin dagegen deckte die Richtungen Tanz und Gesang ab, mit unbändiger Energie und der nötigen Prise Verrücktheit folgten sie ihrem Leitspruch: „Der Weg entsteht, indem man ihn geht.“ <BR /><BR />Was womöglich als Märchen daherkommt, war in Wirklichkeit ein Himmelfahrtskommando, entpuppte sich als ein „Ding, das uns tatsächlich hin und wieder auch über den Kopf hinausgewachsen ist“, wie Doris Warasin einräumt. Ein Berg an Dingen kam auf die beiden jungen Frauen zu, Sachen, mit denen sie bis dato kaum etwas zu tun gehabt hatten, etwa Behördengänge, Businesspläne oder Telefonate in Dauerschleife. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="916126_image" /></div> <BR /><BR />„Wenn man so etwas aufbaut, ist es mehr als ein Full-Time-Job, außerdem hatten wir beide unsere Kinder zu betreuen“, sagt Doris Warasin. Mitten in diese turbulente Aufbauphase platzte die Hiobsbotschaft herein: Bei Antonia war ein überaus aggressiver Tumor festgestellt worden. Zunächst schien es, als könne sich die zweifache Mutter gegen dieses Schicksal aufbäumen, auch hatte sie ihren ganz persönlichen Weg gefunden, damit umzugehen: Weglächeln und nicht einmal die engsten Vertraute damit belasten. Es half alles nichts, im April 2018 schied sie mit erst 38 Jahren aus dem Leben.<BR /><BR />Wird Doris Warasin heute darauf angesprochen, meint sie nachdenklich: „Man kann sich kaum vorstellen, wie schlimm dieser Verlust für mich ist. 3 Jahre lang war ich sozusagen im Prozess der Trauer gefangen, erst dann wurde ich langsam ich selbst und konnte wieder befreit lachen oder unbeschwert ein paar Sprüche klopfen.“ Nach und nach fand sie auch die Kraft und die positiven Schwingungen, um an ihrem gemeinsamen Lebenstraum weiterzubauen, begeisterte dafür neue Weggefährten und konnte auf eine steigende Nachfrage bei den Kindern und Jugendlichen bauen. <h3> Und dann kommt noch Corona</h3>Ganz gleich, wie sich „Murx“ weiterentwickelt, der Name wird für immer mit Antonia Tinkhauser verbunden bleiben. „Ich habe nun großartige Mitstreiter rund um mich versammelt, natürlich hat mich aber mit Antonia ein ganz und gar besonderes Miteinander verbunden, eine Art fantastische Verrücktheit, die Sachen einfach durchzuziehen“, gibt Doris Warasin zu bedenken. <BR /><BR />Es dauerte nicht lange, ehe mit dem Ausbruch der Coronapandemie der nächste Tiefschlag folgen sollte, insbesondere Kulturtreibende wurden davon arg gebeutelt oder gar zum Aufgeben gezwungen. Auch davon ließ sich Doris Warasin mitsamt Team nicht aus dem Konzept bringen, wenngleich sie zu bedenken gibt, dass sie in den vergangenen 3 Jahren zum Ende der Saison regelmäßig zusammengeklappt ist.<BR /><BR /> Sie versichert, in dieser Hinsicht dazugelernt zu haben: „Im vergangenen Jahr war es ziemlich schlimm, aber ich bin mir bewusst geworden, dass man nicht beständig dieses brutale Pensum herunterspulen kann. Folgerichtig hat sie sich für diesen Sommer eine Art Erholungspause verordnet mit klar definierten freien Tagen. Schließlich haben auch mal die beiden Söhnchen Anton (13) und Emil (6) ihre uneingeschränkte Zuneigung und Aufmerksamkeit verdient. <h3> Eine Lektion fürs Leben</h3>Es verdeutlicht, wie zehrend und intensiv ein derartiges Projekt sein kann, ganz nebenbei rückt Doris Warasin auch die gängigen Vorstellungen einer professionellen Musicalausbildung zurecht: „Dafür ist jahrelanges hartes Training erforderlich, und zwar gleich auf mehreren Ebenen, denn schließlich müssen Tanz, Gesang und Schauspiel ein stimmiges Gesamtpaket ergeben.“ <BR /><BR />Hin und wieder kann sie sich deshalb über die Geringschätzung, die man ihrem Fach mitunter entgegenbringt, ärgern, doch viel lieber als das baut sie am großen Ganzen weiter: „Murx“ als multidisziplinäre Ausbildungsstätte für Kinder und Jugendliche weiterentwickeln, die Freude an den darstellenden Künsten vermitteln und so manchen talentierten Heranwachsenden in seinem Weg professionell unterstützen. So hat etwa auch aus Jenesien stammende Diego Federico bei „Murx“ sein Talent geschärft, nun lebt er als gefragter Tänzer und Sänger in Wien. <BR /><BR />Die Show wird ganz bestimmt weitergehen, dafür bürgt Doris Warasin mit allen, was sie an Einfallsreichtum, Talent und „positive Vibes“ zur Verfügung hat.<BR />