Nun überrascht Maxi Obexer mit ihrem neuen Roman „Unter Tieren“ und mit ihrem neuen Stück „Gletscher“ – eine wichtige Stimme, die wir nicht überhören sollten... Gespräche mit der Autorin und der Regisseurin des Stückes „Gletscher“ Elke Hartmann, das am 4. April Premiere in der Dekadenz Brixen feiert. <b>Von Barbara Fuchs</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013190_image" /></div> <BR /><BR />Die 1970 in Feldthurns geborene Maxi Obexer hat Südtirol vor Jahren verlassen, hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien und Berlin studiert und lebt heute in Berlin. Sie war Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin, der Akademie der Künste Berlin sowie der Akademie Schloss Solitude, wo sie auch als Jurorin tätig ist. Schon während des Studiums wurde sie für ihre Theaterstücke und Hörspiele ausgezeichnet. An mehreren US-amerikanischen Universitäten hatte sie Gastprofessuren inne, so am Dartmouth College und an der Georgetown University in Washington DC.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013193_image" /></div> <BR /><BR />Trotz dieser Erfolge hat Obexer Südtirol keineswegs den Rücken gekehrt: Ganz im Gegenteil. Sie hat ihrem Heimatdorf ein wunderbares Geschenk gemacht, als sie 2015 die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe Summerschool gründete, um mit Expertinnen und Experten wichtige Fragen der Gegenwart aufzuwerfen und in Form von Diskussionen und Workshops Erkenntnisse von Vielen zusammenzuführen und für den gesellschaftlichen Prozess der Auseinandersetzung zu nutzen. Eine Auseinandersetzung, die sich aus dem Zusammenprall des ländlichen und urbanen, des lokalen und internationalen Raumes zwingend ergibt. Jahr für Jahr gewinnt sie dafür Geldgeber, politisch Verantwortliche und Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Kultur und hält trotz diverser Hürden konsequent an der Idee dieser Lernakademie für eine humanere Gesellschaft fest.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013196_image" /></div> <BR />Anlässlich ihres neuen Romans <TextHBlau>„Unter Tieren“, </TextHBlau>der am 25. März im renommierten Verlag Weissbooks erschienen ist, sprachen wir mit der Autorin.<BR /><BR /><BR /><b>Betrachtet man Ihre Werkübersicht seit 2007, dem Jahr der Veröffentlichung von „Geisterschiff“, einem der meistgespielten Gegenwartsdramen, so finden sich als Ihre bevorzugten Themen Ausgrenzung, Flucht, Unterdrückung, Gewalt. Ihr neuer Roman „Unter Tieren“ hat sich dem Verhältnis Mensch Tier zugewandt. Haben Sie sich damit einer völlig neuen Thematik verschrieben oder hängen die Problemfelder möglicherweise ursächlich zusammen?</b><BR />Maxi Obexer: Da haben Sie Recht, die Themen, die Sie nennen, haben viel miteinander zu tun. Und wie wir mit Tieren umgehen, fällt zutiefst auf uns selbst zurück. Die komplexe Mensch-Tier-Beziehung beschäftigt mich schon sehr lange. Es ist das zentrale Thema meiner Herkunft, ich bin mit Tieren aufgewachsen und bin dafür sehr dankbar. Übrigens bin ich nie wegen der Enge geflüchtet, die Welt war sehr weit, das Studium und die Professionalisierung brachten mich in die Stadt. Aber wenn wir von einem Moment der Flucht sprechen, so ist es die jederzeit mögliche Gewalt im Umgang mit Tieren, die mich davontrieb.Seither ließ mich das Gefühl nicht mehr los: Ich habe sie im Stich gelassen, habe sie denen überlassen, die sich von den nur Tieren nehmen und nicht sehen wollen, dass ihnen gegeben wird. Seit 12.000 Jahren haben sich Mensch und Tier gegenseitig gezähmt im Sinne von: „Sich vertraut machen“. Im bäuerlichen Umfeld hat mich eine Beobachtung nicht losgelassen: Da wird ein Tier herangezogen, gepflegt, umsorgt, und dann, wenn's zum Töten kommt, wird so getan, als hätte es da nie etwas gegeben.<BR /><BR /><BR />Warum kam zur Hand, die tötet, nicht die andere, die tröstet, das Tier – und auch sich selbst, den Menschen? Nicht beim Töten – vorher also setze ich an, dort, wo eine Beziehung geleugnet wird, beginnt die Gewalt. Und das können wir ändern. Eine Generation vor mir wurde übrigens dasselbe über Kinder, Mädchen oder Frauen gesagt: Der Umgang ist geprägt von Gewalt. Heute ist es nicht mehr legitim. Bei Tieren ist es das zum Teil noch immer. <BR /><BR />Diese Abspaltung ist in meinen Augen die Voraussetzung dafür, was in der Modernisierung möglich wurde: das industrielle Halten und Töten von Tieren zum Gebrauch, das Absprechen einer Lebensberechtigung von lebenden Wesen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013199_image" /></div> <BR /><BR /><b>Welche Geschichte erzählen Sie uns in Ihrem neuen Roman?</b><BR />Obexer: In dem Roman geht es um eine Familie auf einem Südtiroler Bergbauernhof, bei der die eine Tochter, Annie – das sogenannte „Flittchen“, in die Stadt flieht. Es sind Zeiten des Umbruchs, von den Billigboutiquen steigt sie auf in eine Edelboutique und bringt, als sie schwanger wird, das Kind auf den Hof zu Antonia und Jakob. <BR /><BR />Dieses Kind wächst inmitten der Tiere auf, und bald hat sie mit der Hündin Pirat eine Gefährtin an ihrer Seite. Die Zeit mit den Tieren wird besonders prägend, als sie zum ersten Mal allein den Sommer auf der Alm verbringt, mit den Kälbern und mit Pirat. Die Begegnung mit einem Hirten, sein Bericht, wird außerdem sehr wichtig. Auch die Erzählungen von Theres gehören dazu.<BR /><BR />Später geht sie in die Stadt zum Philosophie-Studium. Erst die Nachricht von Antonias missglücktem Selbstmordversuch lässt die junge Agnes zurückkehren. Als Lesende erfahren wir aus der Rückschau der Ich-Erzählerin, welche Erfahrungen und welcher Konflikt zwischen Antonia besteht, die die bäuerlich-patriarchalen Regeln eisern verfolgt, die die Obrigkeiten achtet und ihre Gesetze schweigend befolgt, die sich keiner Sprache bemächtigt und also stumm bleibt, als ihre Tiere abtransportiert werden – und Agnes. Das Mädchen, das sich an dieser harten und strengen Frau abarbeitet, ihr nahekommen möchte und ihre Welt deuten möchte. Sie bewundert Antonia, ihre Sorgfalt, ihren Ernst, sie bemerkt ihre Aufopferung – und erst später, als sie sie in der Psychiatrie besucht, bemerkt sie auch ihre Zerrissenheit. Antonia geht an dem bäuerlich-patriarchalen System, das sie eisern verteidigt, zugrunde. Zuletzt sind es die Tiere, die Antonia die letzte Ehre erweisen. <BR /><BR /><BR /><b>In Ihrem Roman werden sehr starke Bilder evoziert für das Zusammenleben mit den Tieren, etwa in den Beschreibungen, wie sie den Menschen vertrauen, sie trösten, die Kommunikation suchen, aber vor allem bei den brutalen und gewalttätigen Tötungen, etwa einer Sau. Wie hängen Aussage und Stil Ihres Romans zusammen?</b><BR />Obexer: Die starken Bilder sind meiner Sprache geschuldet, ich glaube, das ist ein Markenzeichen von mir. Was mir wichtig war bei diesem Roman: Ich wollte beides schildern, denn beides trifft zu: die intensiven Beziehungen zwischen den Menschen und den Tieren. Und ich wollte verweisen auf die Ursprünge der Abspaltung, der Mitleidlosigkeit angesichts von empfindsamen, intelligenten Lebewesen, die uns vertrauen. Da gibt es das bäuerlich-patriarchal geprägte Umfeld und das ausbeuterische der industriellen Landwirtschaft. Und da gibt es auch eine westliche Philosophie, die Tiere als Maschinen definierte. Und da gibt es das biblische Gebot: Macht euch die Erde untertan. Der Satz legitimiert die Zerstörung. Eine Veränderung ist möglich, wenn wir den menschlichen Zivilisationsprozess im Sinne einer Verfeinerung auf den Umgang mit den Tieren ausdehnen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013202_image" /></div> <BR /><BR /><b>Die Dekadenz Brixen wird am 4. April Ihr Stück „Gletscher“ auf die Bühne bringen. Worum geht es da?</b><BR />Obexer: Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit, bei der ein 18-Jähriger im Rieserferner Gletscher unter eine Lawine kommt. Seine schwangere Verlobte kann seinen Tod nicht akzeptieren und wartet 54 Jahre lang auf seine Rückkehr. Dann gibt der Gletscher die Leiche frei, und sie muss mit ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter den Leichnam identifizieren. Das Stück ist eine Parabel für die Vergänglichkeit des Lebens und gleichzeitig ein Experiment, wie man über 50 Jahre auf der Bühne vergehen lassen kann. Die Handlung des Stückes wird aber auch mit einer Flüchtlingsgeschichte verwoben, indem sie 4 Jugendliche aus Temeschwar (Timisoara) in Rumänien auf dem Weg zur vermeintlichen Freiheit in den Westen zeigt. Ein Weg, der für einen von ihnen mit dem Tod im Eis endet. Das Stück zeigt Mutter und Tochter in ihrer Schwierigkeit, ja Aussichtslosigkeit, mit den Erfahrungen des Verlusts und des verpassten Lebens fertig zu werden. <BR /><BR /><BR /><b>Buchtipp:</b> „Unter Tieren“ Maxi Obexer, Weissbooks Verlag 2024, 240 Seite<BR /><BR /><b>Buchvorstellung:</b> 10.4., 20 Uhr, Teßmann Bibliothek Bozen<BR /><h3> „Gletscher“, die Neue Produktion der Dekadenz</h3><BR />Gespräch mit der Regisseurin Elke Hartmann.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013205_image" /></div> <BR /><BR /><b>Angesichts der Nachrichten über den rasanten Gletscherschwund fragt sich das Publikum, was uns bei der Frühjahrsproduktion der Dekadenz unter Ihrer Regie erwartet. Worum geht es in diesem Zweipersonenstück? Wofür steht der namengebende „Gletscher“?</b><BR /> Elke Hartmann: Gletscher ist die Geschichte eines wartenden Mutter-Tochter Paares. In einer Gletscherlandschaft mit Hotels, Hütten Skilift etc. ist auch das Hotel von Destinas Eltern, allerdings nicht mehr in Betrieb, sondern es verfällt langsam vor sich hin. Hier wartet Destina mit ihrer Tochter Florinda auf Hanno. Er war Destinas Geliebter, wollte im Alleingang einen Gletscher besteigen, und kam nicht mehr zurück. Seitdem wartet sie. Die Tochter hat den Vater niemals kennen gelernt. Sie warten Jahrzehnte, und schließlich gibt der Gletscher Hanno frei, weil er taut und sich ganz langsam zu bewegen beginnt, so wie das Leben der beiden in diesem verfallenen Hotel. Obwohl sie über viele Jahre in einer vermeintlichen Ewigkeit lebten, bricht irgendwann dieses Verhältnis auf, löst sich, und die beiden dürfen wieder oder erstmals zu leben beginnen. Wie der verstorbene Hanno steigen sie wieder ein in den Fluss der Zeit, in die Vergänglichkeit, und somit ins Leben. Was für das Klima eine Katastrophe ist, ist für die beiden ein Segen. Veränderung. Das Stück hat etwas Großes, Archaisches, und gleichzeitig absurde, witzige Seiten. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013208_image" /></div> <BR /><BR /><b>Zur Handlung gehört, dass sie sich in einem Zeitraum von über 50 Jahren abspielt. Wie gehen Sie als Regisseurin der Produktion mit dieser Herausfor- derung des Textes um?</b><BR /> Hartmann: Meine Besetzung ist eine für das Stück ziemlich junge. Deshalb habe ich den Zeitraum des Wartens verkürzt. Bei mir sind es 35 Jahre. Ich glaube, das ist immer noch ein ausreichender Zeitraum. Die beiden Schauspielerinnen sind großartig, und sie schaffen es, ohne Veränderungen in Kostüm und Maske die verschiedenen Alter allein durch innere Haltung zu transportieren. Wir sind auch draufgekommen, dass Altern nicht unbedingt ein linearer Prozess ist, sondern dass Destina, je nach Befinden sprunghaft alt oder jung ist. An der Tochter merkt man, wie sie erwachsen wird, sie startet sehr abhängig in das Stück, und wird in der Folge rebellisch, um schlussendlich Verantwortung zu übernehmen. Gletscher ist letztlich ein feministisches Stück, Mutter und Tochter befreien sich aus der Abhängigkeit. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1013211_image" /></div> <BR /><b>Wie würden Sie die Regiearbeit mit den beiden Schauspielerinnen und dem Musiker Stefano Bernardi beschreiben? Wie haben Sie sich den thematisch und stilistisch vielschichtigen Text erarbeitet und für die Bühne umgesetzt? Welche Probleme galt es zu bewältigen?</b><BR /> Hartmann: Ich hatte großen Respekt vor dem Text, er ist sowohl inhaltlich als auch formal anspruchsvoll. Umso überraschter war ich, wie leicht uns die Probenarbeit von der Hand ging. Die beiden harmonieren großartig, sie bringen die nötige Ernsthaftigkeit und den nötigen Humor, den dieser Text braucht, gleichermaßen mit. Stefano hat unsere Arbeit ungemein bereichert, er hat ein super „Gspür“ dafür, was auf der Bühne wie verstärkt oder kontrapunktiert werden soll, und die Ausstattung von Sara Burchia stellt uns eine regelrechte Spielwiese zur Verfügung. Sie hat geholfen, dass aus dem Text, der wenig situativ, sondern ziemlich sprachverspielt ist, ein theatraler Abend werden konnte. Das war tatsächlich die einzige wirkliche Hürde, die es zu nehmen galt. <BR /><BR /><b>Termin:</b><BR /> Das Stück „Gletscher“ von Maxi Obexer feiert am 4.4. um 20 Uhr in der Dekadenz im Brixen Premiere. <BR /><b>Weitere Termine:</b> 7.4., 18 Uhr; 10., 12. und 13.4., 20 Uhr; 14.4., 18 Uhr; 17., 19. und 20.4., 20 Uhr, 21.4. 18 Uhr.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />