Die große Liebe des aus Film und Fernsehen weitum bekannten Schauspielers gilt literarischen Texten. Ob der Schiller-Balladen-Rave, der gerockte Jedermann oder der am Liebeskummer zugrunde gegangene Werther – Philipp Hochmairs Auftritte brennen ein Feuerwerk ab. Sie bringen sogar in Franz Kafkas düstere literarische Kellergewölbe Helligkeit. Warum, das erklärt der Schauspieler im Gespräch...<b>Von Margit Oberhammer</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037520_image" /></div> Philipp Hochmair hat sich 2 der insgesamt 3 literarischen Großruinen einverleibt, die Romane „Der Prozess“ und „Der Verschollene“. Letzteren performt er unter dem weniger üblichen Titel „Amerika“ in einer eigens für seine Tourneen erstellten Reisefassung. <BR /><BR /><BR />Franz Kafka beschreibt ein Amerika, das er nur aus Reportagen kannte. Wie die Bühnenkulisse eines alten Stummfilms fungiert es als Schauplatz für die Geschichte des jugendlichen Protagonisten Karl Roßmann. Der freundliche, lernwillige und anständige Karl wird von seinen Eltern verstoßen, <Kursiv>„wie man eine Katze vor die Tür wirft“</Kursiv>, landet nach einem kurzen Luxusleben beim reichen Onkel im asozialen Milieu mit vermutlich tödlichem Ausgang. Kafkas Liebe zum jiddischen Theater und zum Kino spiegelt sich in der bewegten Körpersprache seiner Romanhelden, kommt Philipp Hochmairs Bühnenfassung entgegen. <BR /><BR /><BR />Mit seinem sehr persönlichen Zugang sprengt der Schauspieler Kafkas sprachlich perfekt gemeißelte Romankapitel, reißt den Text sperrangelweit auf. Mit großzügiger Offenheit lässt er das Publikum an seiner subjektiven Lesart teilnehmen. Er öffnet die Geschichten für Menschen, die die Lust an Literatur verloren haben und verführt jene zur Lust am Text, die sie vorher nicht kannten. Ja mehr noch, der Schauspieler verwandelt den unaufhörlichen Abstieg des Karl Roßmann in eine „Hans im Glück“-Geschichte. <BR /><BR /><BR />Warum er den Romanhelden nicht im tiefsten Unglück liegen lässt, „Amerika“ sogar in so etwas wie eine reisende Kafka-Apotheke verwandelt, darüber gibt Philipp Hochmair nach seinem Auftritt trotz Erschöpfung auf liebenswürdige Art und Weise Auskunft.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037523_image" /></div> <BR /><BR /><b>Herr Hochmair, Sie haben sich die Geschichte eines erbarmungslosen, unerbittlichen Abstiegs einverleibt. Wie ergeht es einem damit körperlich? Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Glückshormone?</b><BR />Philipp Hochmair: Bauchschmerzen am allerwenigsten. Die Gärtnerei hier ist ein dermaßen zauberhafter Ort, wie gemacht für Kafkas letztes Amerika-Kapitel, „Das Naturtheater von Oklahoma“. Deshalb war ich voller Vorfreude auf dieses Erlebnis inmitten der von Frau Schullian so fein geordneten Natur. Es hat nicht die Angst vor dem Abstieg überwogen, sondern die Erwartung des Aufstiegs am Schluss. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037526_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sehen Sie den Schluss tatsächlich so positiv? Außer Kafkas Freund Max Brod, der von Erlösung gesprochen hat, ist sich die Kafka-Forschung inzwischen ziemlich einig, dass dieses „Naturtheater von Oklahoma“ kein guter Ort sein kann. Abgesehen davon, dass Kafka den Roman nicht vollendet und nach diesem Kapitel abgebrochen hat…</b><BR />Hochmair: Ich sehe das Schlusskapitel äußerst positiv. Ich weiß, dass es unterschiedliche Interpretationen gibt, zum Beispiel auch jene, dass Karl Roßmann bereits tot ist und das Theater als eine Vision des Jenseits auftaucht. Aber ich bin mein eigener subjektiver Leser. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut und ich muss meiner eigenen Interpretation Raum geben. Karl Roßmanns Ankommen im Theater ist für mich persönlich absoluter Höhepunkt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037529_image" /></div> <BR /><BR /><b>Obwohl Kafka das Theater als riesige bürokratische Maschinerie beschreibt? Obwohl Karl Roßmann nicht als Schauspieler, sondern „nur“ als technischer Arbeiter aufgenommen wird? Obwohl die Sprache und die Willkommensfloskeln an jene erinnern, mit denen auf Plakaten Soldaten für den Ersten Weltkrieg rekrutiert wurden?</b><BR />Hochmair: In meiner Lesart ist das „Naturtheater von Oklahoma“ der Ort, wo Befreiung stattfindet, wo jeder willkommen ist. Was gibt es Schöneres als einen Ort, wo jeder richtig ist, so wie er ist? Das kann gar nichts anderes als das Glück sein. <BR /><BR />Ich kann mich mit dem Protagonisten identifizieren. Auch ich habe einen schwierigen Weg hinter mir, natürlich anders als bei Kafka, aber ich erkenne mich wieder. Ich habe mich oft nicht sehr wohl gefühlt in meiner Kindheit und Jugend und mir die Frage nach meinem Platz in der Welt gestellt. Und dann gibt es irgendwann Orte wie die Salzburger Festspiele, das Burgtheater, das Waltherhaus in Bozen oder eben hier diesen Raum zwischen all den Pflanzen, und man weiß, man ist am richtigen Ort. Es ist für mich diese „Richtigwerdung des Selbst“, die im Roman so schön beschrieben wird.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037532_image" /></div> <BR /><BR /><b>Aber möchten Sie nicht manchmal aufschreien, ob der vielen Ungerechtigkeit, die dem jungen Karl Roßmann widerfährt? Oder ihm zurufen, er solle sich doch endlich wehren gegen die völlig unberechtigten, absurden Schuldzuweisungen?</b><BR />Hochmair: Was würde es ihm nützen? Ich kann es sehr gut nachvollziehen, durch die Strenge des Vaters mundtot gemacht zu werden und im Leben nicht mehr handeln zu können. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037535_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Dass man ohne geringste eigene Schuld in eine derartige Abwärtsspirale geraten kann?</b><BR />Hochmair: Auch das kann ich gut nachvollziehen. Das passiert, wenn man den eigenen Platz nicht findet. Nicht nur Torquato Tasso ist an der Staatsmacht zerschellt. Es kann jedem, auch jedem Künstler passieren, dass er an den Gerichten dieser Welt zerschellt. Es gibt dafür unzählige sehr berührende Beispiele. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037538_image" /></div> <BR /><b>Oder er wird im letzten Moment gerettet vor der Verdammnis durch Gottes Gericht, wie „Jedermann“, den Sie diesen Sommer in Salzburg spielen werden. Der Jedermann-Schluss mit seiner positiven Wendung wird ähnlich skeptisch gesehen wie die Wendung ins Positive in Kafkas Roman. Können Sie sich mit Jedermanns Rettung durch die Gnade des Glaubens identifizieren?</b><BR />Hochmair: An der Rolle des „Jedermann“ und am Schluss des Stücks gefällt mir, dass jeder eine Chance auf eine Besserung hat, auch wenn er ein schlechter Mensch ist. Es kommt schließlich darauf an, wie man die Welt verlässt, ob glücklich oder unglücklich. Jeder kann sich nur wünschen, die Welt als glücklicher Mensch zu verlassen. Das wird im „Jedermann“ dem Publikum zumindest als Fantasie angeboten. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037541_image" /></div> <BR /><BR /><b>So wie in Kafkas „Amerika“ die Fantasie eines Zuhauses in der Kunst?</b><BR />Hochmair: Bei Kafka braucht es eine lange Phase des Scheiterns, des nicht am eigenen Platz Seins, um dann umso schöner den glücklichen Moment zu erzeugen, in dem man es geschafft hat, den richtigen Ort zu finden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037544_image" /></div> <BR /><BR /><b>Obwohl Sie die lange Phase des Scheiterns extrem gekürzt haben für Ihre Aufführung, das vorletzte Kapitel zur Gänze gestrichen?</b><BR />Hochmair: Ich glaube, das Kürzen ist legitim. „Amerika“ war Kafkas erster Roman, in dem er eine Sprache und Dimension sucht und der deshalb viele Suchbewegungen enthält, viele viele Beschreibungen. Allein die Beschreibung des Lärms in New York zieht sich in einem einzigen Satz über eine ganze Seite. Oder die Beschreibung der modernen Arbeitswelt, wo ein Mann an sieben Telefonen die ganze Arbeit allein erledigen muss.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037547_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wunderbar, oder?</b><BR />Hochmair: Wahnsinnig toll, aber für das Theater ungeeignet. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037550_image" /></div> <BR /><BR /><b>Hat Kafka Humor?</b><BR />Hochmair: Auf jeden Fall. Die inhumane Welt, die er auf absurde Weise beschreibt, ist in Vielem auch sehr komisch. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037553_image" /></div> <BR /><BR /><b>Auch wenn sich jetzt meine Frage, ob eine Kafka-Lektüre glücklich machen kann, beinahe erübrigt hat, möchte ich Kafkas 100. Todestag am 3. Juni, trotzdem mit einer Frage würdigen. Vielen Schriftstellern, auch Ihren Schauspielerkolleginnen, wurde sie in diesem Jahr gestellt. Was war Ihr denkwürdigster Kafka-Moment?</b><BR />Hochmair: Wie ich das erste Mal „Die Verwandlung“ gelesen habe, konnte ich nicht fassen, was dort steht. Ich habe mich sofort angesprochen gefühlt und in höchstem Maße wiedergefunden. Mein eigenes mich unwohl fühlen in der Welt war dermaßen auf den Punkt gebracht, dass ich mit 15, 16 Jahren angefangen habe, mich mit Kafka zu beschäftigen. Die erwachsene Auseinandersetzung mit Kafkas Texten ist eine neuerliche Konfrontation mit der Freude, die ich bei der ersten Lektüre empfunden habe. Allein der erste Satz der „Verwandlung“ war für mich der Schlüssel zu meiner eigenen Seele. Ich weiß nicht, ob Sie dieses Gefühl kennen, dieses merkwürdige Gefühl, dass man in der Familie, in der Schule oder wo auch immer, nicht am richtigen Platz ist…<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037556_image" /></div> <BR /><BR /><b>Leider sehr gut, aber die Flucht ins Lesen, in die Literatur ist ja nicht die schlechteste. Immunisiert Kafka gegen einen Großteil der deutschsprachigen Literatur? Lässt er nur Größen wie Schiller, Goethe, Stifter, Hofmannsthal, neben sich gelten? Jene Klassiker, mit denen Sie ebenfalls auftreten?</b><BR />Hochmair: Für meine Bühnenauftritte wähle ich Texte, die mich schon lange begleiten und die ich in bestimmten Lebensphasen wiederaufnehme. „Amerika“ habe ich zum Beispiel schon vor 20 Jahren als Hörbuch eingelesen, 2009 am Thalia Theater gespielt. Einfach gesagt, ich wähle Texte, die mich in verschiedenen Lebensphasen in irgendeiner Weise widerspiegeln. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037559_image" /></div> <BR /><BR /><b>Zeitgenössische Literatur kann das nicht?</b><BR />Hochmair: Könnte sie auf jeden Fall. Ich bin ein Fan von Peter Handke und Elfriede Jelinek. Ich habe in Uraufführungen ihrer Stücke gespielt. Es sind Erfahrungen, die ich auf keinen Fall missen möchte. Aber für selbst gestaltete Solo-Performances gelten andere Bedingungen. Erst 70 Jahre nach dem Tod eines Autors gehören seine Texte der Allgemeinheit. Vorher, zum Beispiel bei Brecht oder Bernhard, muss man mit den Erben verhandeln, wie und was man verändern darf. Und dafür habe ich keinen Nerv. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037562_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie brauchen für die Literatur die Bühne?</b><BR />Hochmair: Das Theater ist für mich gelebte Literatur. Ich bin dankbar über die Reaktionen des Publikums. Das Theater hat mich zu mir selbst gebracht. Jetzt mit 50 kann ich sagen, das Theater hat mich geheilt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037565_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mehr als der Film?</b><BR />Hochmair: Eindeutig. Das Theater ist eine viel härtere und physischere Auseinandersetzung mit sich selbst. Im Film geht es „fotografischer“ zu. Im Theater muss man die Figuren vielleicht ganzheitlicher durchleben. Man kann sich auch an Rollen abarbeiten, die einem auf den ersten Blick fremder sind und nicht entsprechen. Emotional ist mir das Theater näher. Der Vorteil des Films ist, dass er um die Welt fliegen kann…<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037568_image" /></div> <BR /><BR /><b>Und Sie mit ihm…</b><BR />Hochmair: In der Filmwelt ist viel Bewegung. Wenn man die Balance halten kann zwischen Film und Theater, ist das ein Geschenk. Um Mensch zu sein, muss ich eine Portion Theater in meinem Leben haben. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1037571_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie kommen gerade aus Cannes, ziehen mit 2 Kafka-Programmen nach Klagenfurt weiter, beginnen mit den Jedermann-Proben in Salzburg, treten im Sommer im Salzkammergut mit eigenen Performances auf. Woher beziehen Sie diese unbändige Energie, die physische, aber vor allem die psychische?</b><BR />Hochmair: Aus der Kunst selbst, aus ihrer Strahlkraft. Ich bin da sehr auf der Suche nach relevanten Themen und nach Wahrhaftigkeit. Da fühle ich mich wie auf einer Mission, als eine Art „Kunstsoldat“ (lacht). <BR /><h3> Vita Philipp Hochmair</h3>Geboren 1973 in Wien, ist Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler. Er studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar sowie am CNSAD in Paris (1993-1996). Neben seiner filmischen Arbeit ist er vor allem für seine Bühnenarbeit an internationalen Theatern bekannt, wo er klassische Rollen im modernen „postdramatischen“ Stil übernommen hat: Hamlet, Mephisto (Goethes Faust) und Werther (nach Goethes Briefroman). Mit der One-Man-Show „Jedermann Reloaded“ nach Hugo von Hofmannsthal erregte er große Aufmerksamkeit – musikalisch unterstützt von seiner Rockband „Die Elektrohand Gottes“. Er wurde vielfach ausgezeichnet.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />c