Als prominentester Vertreter der internationalen Literatur war zu Beginn von „Gartners Literaturfestival im April“ kein Geringerer als Daniel Kehlmann, einer der namhaftesten Autoren unserer Gegenwartsliteratur, zu Gast. Er las aus seinem im Herbst 2023 erschienenen Roman „Lichtspiel“(rowohlt 2023, 480 S.) Daniel Kehlmann nimmt im Exklusivinterview zu seinem Roman und anderen Büchern Stellung.Daniel Kehlmann nimmt im Exklusivinterview zu seinem Roman und anderen Büchern Stellung. <b>Von Ferruccio Delle Cave</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015557_image" /></div> <BR />Den Plot des Romans beherrscht der Protagonist, Georg Wilhelm Papst, neben Murnau und Lang einer der Größten des deutschen Stumm- und frühen Tonfilms. In den Wochen von Hitlers Machtergreifung drehte der Österreicher in Frankreich. Vor den Gräueln des Naziregimes floh er dann mit seiner Familie nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens fühlte sich der in Europa berühmte und in Kalifornien ganz verlorene Regisseur mit einem Mal wie im Niemandsland. <h3> Die Barbarei eines Regimes</h3>Nicht einmal Greta Garbo, die er mit seinem Film „Die freudlose Gasse“ 1925 unsterblich gemacht hatte, konnte ihm dabei helfen. Und so entschied Papst, wieder in seine Heimat Österreich zurückzukehren. Österreich war aber 1938 ans Deutsche Reich angeschlossen und nannte sich die Ostmark. <BR /><BR />Georg Wilhelm Papst bekam nun die Barbarei des neuen Regimes hautnah zu spüren. Der Propagandaminister Goebbels wollte aber das Filmgenie Papst auf jeden Fall in Berlin haben. Während Pabst noch glaubte, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen würde, war er schon rettungslos in seinen Fängen verstrickt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015560_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mit Ihrem neuen Roman „Lichtspiel“ haben Sie wieder ein Kapitel deutscher Geschichte, ja speziell deutscher Filmgeschichte nachgeschrieben und erhellt. Es geht dabei nicht nur um den Protagonisten, den Filmemacher Georg Wilhelm Papst, sondern um eine ganze Epoche. Wie sind Sie auf die Figur von Papst gekommen und was hat Sie daran fasziniert?</b><BR />Daniel Kehlman: Zu Papst bin ich eigentlich durch mein Interesse für den Film gekommen. Viele meiner Freunde sind Regisseure, so wie mein Vater auch. Und wenn man sich für die Geschichte des Films interessiert, stößt man auf Georg Wilhelm Papst. Er war der Dritte der 3 großen deutsche Regisseure der 1920er Jahre, neben Murnau und Fritz Lang. Und dann stieß ich auf diese völlig ungewöhnliche, einzigartige Immigrationsgeschichte: Dass er es geschafft hatte, nach Amerika, nach Hollywood zu kommen; er hat dort gedreht und dann ist er plötzlich zurückgekommen. Es gibt keinen vergleichbaren Fall! Dazu muss man sagen, er ist zurückgekommen, ohne in irgendeiner Weise verdächtig zu sein der Sympathie mit den Nazis. Ich dachte, das ist ja die unglaublichste Geschichte, man weiß nicht sehr viel darüber. Das ist natürlich die beste Situation für einen Romanautor. „Lichtspiel“ ein Roman, und das ist eben dann auch ein Weg, über diese Zeit zu erzählen aus einer ungewöhnlichen Perspektive und aus einem ungewöhnlichen Zugang, nämlich einem Emigranten, der sozusagen zurückkommt, bevor der Albtraum vorbei ist. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015563_image" /></div> <BR /><b>Ich fand in Ihrem neuen Roman auch eine ganz neue Textur vor, es ist eine Prosa, die fasziniert und alle Schichten von Bewusstseinsvorgang wiedergibt, so etwa ein zentrales Kapitel, wo Papst von Goebbels empfangen wird. In Teilen kommt die filmische Technik auch in Ihrer Erzählprosa zum Tragen...</b><BR />Kehlmann: Ich hatte das nicht im Detail geplant vorher; erstens bin ich ja sowieso nie ein ganz realistischer Erzähler gewesen; bei mir sind immer zu reale Dinge und irreale Dinge passiert: Ich habe beim Schreiben gemerkt, dass der Erzähler G.W. Pabst meine Arbeit beeinflusst. Also diese Ästhetik des Stummfilms und des frühen Tonfilms, des expressionistischen Films, der ja am Anfang unglaublich avantgardistisch, auch surreal daherkommt. Ich habe eben gemerkt, dass die ganz bösen Menschen häufig überhaupt menschlich nicht interessant sind. Aber, wenn man es mit den Mitteln des expressionistischen Films tut, dann wird’s spannend. Man schreibt ja auch, um selber Überraschungen zu erleben. Also dieser Moment, wo Goebbels am Schreibtisch sitz und Papst sich zu ihm setzt, und dann kommt Goebbels noch einmal herein, das ist überraschend passiert beim Schreiben. Ich war selbst verblüfft und dachte, das ist hoch interessant, mal schauen, was das jetzt bedeutet. Das sind eigentlich die beglückendsten Momente beim Schreiben. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015566_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie haben sich, neben den Recherchen zu und der Niederschrift Ihres neuen Romans intensiv mit Franz Kafka beschäf- tigt. Hat dies allein mit dem Drehbuch zur Filmserie Kafka, die in der ARD und im ORF wie auch Arte kürzlich ausgestrahlt worden ist, zu tun? Wie haben Sie die schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers gefunden?</b><BR />Kehlmann: Ich habe ja gedacht, das wird für den Schauspieler sicher schwer. Ich habe nicht das Leben von Kafka dramatisiert, ich habe die epochale Biografie von Rainer Stach dramatisiert. Ich musste dies nicht noch einmal leisten. Ich habe mich auf Stach selber gestützt, er war ja auch unser Berater. Viel zu häufig wird ja Kafka als Spinner oder abnormer Soziopath dargestellt. Und er war eigentlich viel moderner, als es für die Zeitgenossen war, etwa seine Ernährungsgewohnheiten würden heute gar nicht besonders auffallen. Die galten damals als enorm skurril; dass jemand jeden Tag turnt, galt ebenfalls als enorm skurril. Das tun heute die meisten Leute. Auch seine Beziehungen, dass jemand nicht heiratet und mehrere Beziehungen nacheinander hatte, galt damals als ganz verschroben, und heute ist das nicht so ungewöhnlich. Ich habe dabei aber oft gedacht, wie soll das ein Schauspieler leisten? Das ist ja das Wunderbare beim Film, dass es eine kollektive Arbeit ist. Ich habe mich dann zunächst darauf verlassen, dass David Schalko als Regisseur mit dem Schauspieler einen Weg findet. Es kam dann von überall der Name Joel Basman. Nach Monaten der Einarbeitung haben wir endlich eine Lösung gefunden. So sieht man, wie er Kafka spielt, diese körperliche Ruhe, dieses freundlich zurückgenommene, diese leicht quäkende Stimme, dies etwas spitze Lachen, was übrigens in den Quellen wirklich berichtet wird. Ich fand es überwältigend, wie er eine Lösung gefunden hat, um Kafka zu sein. Und das ist eben der Grund, warum ich auch für den Film schreibe, weil es eine wunderbare Erfahrung ist mit tollen Schauspielern zu arbeiten und zu sehen, ich schreibe etwas, aber das, was ich da geschrieben habe, ist bestenfalls der halbe Weg und die andere Hälfte des Weges macht der Schauspieler mit Hilfe des Regisseurs, der das dann nimmt und entwickelt, eine tolle Erfahrung! <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015569_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie haben kürzlich zusammen mit dem diesjährigen Preisträger für europäische Verständi- gung an der Leipziger Buchmesse, Omri Boehm, ein Gespräch zu Kant veröffentlicht. Wir feiern ja am 22. April dessen 300. Todestag. In Ihrem Buch mit dem Titel „Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant“ (Propyläen 2024, 332 S.) tritt uns auf Schritt und Tritt die Figur des Philosophen und Menschen Immanuel Kant als überaus modern denkender Mensch entgegen. Omri Boehm hat ja durch seinen „radikalen Universalismus“ aufhorchen lassen. Der Kampf um die Gerechtigkeit stellt sich angesichts der jetzigen Konflikte ja täglich wieder neu?</b><BR />Kehlmann: Ich glaube, dass Kant hier wirklich zu vielen Konflikten unserer Zeit echte Lösungswege bietet, und dass sein Universalismus ein echter Weg ist. Eine große Quelle von Konflikten unserer Zeit liegt ja in der Identitätspolitik. Es hat ja auch eine große Richtigkeit, dass man sich erinnert, wie viele unterdrückte Gruppen es gibt, die übersehen werden und deren Geschichte nicht erzählt wird. Aber es ist dann eben doch wichtig zu sagen, wie sieht überhaupt die Welt aus, gibt es etwas zusätzlich zu einer Welt, die nur aus gegeneinander kämpfenden Gruppen mit jeweils eigenen Interessen besteht? Und damit es ein Zusammenleben aller Menschen in einer „Republik“ – heute würden wir Demokratie sagen – in einem ewigen Frieden gibt. Das ist ja das Interesse, das wir als Menschen haben und eben auch zu denken, nicht nur zu welcher Gruppe gehöre ich und was ist das Interesse dieser Gruppe, sondern zu denken, was ist mein Interesse als Angehöriger der Gruppe Mensch. Da sagt eben Omri Boehm, auch diese Gruppe ist nicht biologisch zu definieren, sondern bedeutet eben als Wesen, das zur Freiheit fähig ist, wenn wir sagen, wenn man Gegenpositionen einnimmt, die radikale Lösungen vorsehen. Die Gegenposition zu Kant ist eigentlich Nietzsche. Auf der Welt ist man immer entweder Hammer oder Ambos, und das Wichtige ist einfach, nicht zu den Unterdrückten zu gehören, aber Unterdrückung gibt es immer. Mit Kant würde man dagegen sagen: Nein, man darf das nicht akzeptieren, dass es immer Unterdrückung gibt. Es muss diese Zukunftsperspektive geben, aus der heraus man sagen kann, Unterdrückung ist immer falsch, und es muss möglich sein, in Frieden zusammenzuleben. Das dürfen wir auf keinen Fall aufgeben, und dafür brauchen wir wirklich Kant! <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1015572_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Termine Gartners Literaturfestival:</b><BR /><BR />7.4.: Elias Hirschl „Content“ <BR />11.4.: Bodo Kirchhoff „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ –<BR />12.4.: Sven Hanuschek „Keiner blickt dir hinter das Gesicht – Das Leben Erich Kästers“ <BR />16.4.: Andreas Hempel „Die Messner Mountain Museen. Architektur & Berge“ –<BR />17.4.: Andreas Hempel „WeinBau. Wein und Architektur in Südtirol“ 18.4.: Sabine Peer „Harte Zeiten in Südtirol. Dienstmädel in Bella Italia“ 19.4.: Maria Kampp „Oh!“ – 26.4.: Markus Orths „Mary & Claire“<BR /><h3> Vita Daniel Kehlmann</h3><BR />1975 in München geboren, wurde er für sein Werk unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Friedrich-Hölderlin-Preis und 2024 mit dem Ludwig-Börne-Preis ausgezeichnet. Sein Roman „Die Vermessung der Welt“ war eines der erfolgreichsten deutschen Bücher der Nachkriegszeit, und auch sein Roman „Tyll“ stand monatelang auf den Bestsellerlisten und gelangte auf die Shortlist des International Booker Prize. Zuletzt erschien sein Roman „Lichtspiel“, ebenfalls ein großer Erfolg bei Kritik und Publikum. Daniel Kehlmann lebt in Berlin. <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright>