Journalisten prägten für das italienische Team den Begriff „La Valanga Azzurra“. Der Mythos der azurblauen Lawine war geboren. Mit den Erfolgen der legendären Mannschaft befasst sich der Dokumentarfilm „La Valanga Azzurra“ des Regisseurs Giovanni Veronesi (62), der beim Filmfest in Rom vorgestellt wurde. <b>Von Micaela Taroni</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087950_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Die Erinnerungen der Protagonisten, die die Geschichte des italienischen Skisports geschrieben haben, verwoben mit den Erzählungen von Filmemacher Veronesi, der seine Vergangenheit als aufstrebender Skifahrer offenbart, stehen im Fokus dieses Streifens über ein einzigartiges Sportepos – von seinen glorreichen Anfängen bis zu seinem Niedergang. Beleuchtet werden im Film u.a. die Rivalitäten unter den Skihelden, die charakterlichen Gegensätze, sowie die von den jungen Skifahrern abverlangten Opfer, die diese Mannschaft unbesiegbar werden ließ. In der Doku treten Gros, Thöni, sowie die schwedische Skilegende Ingemar Stenmark auf. Interviewt werden Skistars wie Herbert Plank, Alex Vinatzer, Alberto Tomba, Dominik Paris und Sofia Goggia. Der Film wurde von der IDM Film Commission Südtirol unterstützt. Mit Regisseur Veronesi haben wir nach der Uraufführung des Films gesprochen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087953_image" /></div> <BR /><BR /><b>Nach vielen Filmen haben Sie jetzt Ihre erste Doku gedreht – ausgerechnet über die legendäre Skimannschaft um Thöni. Wie kam es dazu?</b><BR />Giovanni Veronesi: Schon als kleiner Bub, habe ich mich für den Skisport begeistert. Ich nahm an Rennen teil und träumte von einer großen Karriere. Mit 13 habe ich mich aber bei einem Abfahrtsrennen verletzt und musste meine Träume beiseitelegen. Als die Idee zu diesem Dokumentarfilm entstand, habe ich mir gedacht: Jetzt werde ich endlich meine Kindheitsmythen treffen: Gustav Thöni, Piero Gros, Erwin Stricker, Paolo De Chiesa. Als ich ihnen dann wirklich begegnete, war ich so aufgeregt als als hätte ich einen Hollywoodstar wie Robert De Niro getroffen.<BR /><BR /><BR /><b>Stimmt es, dass Sie mit den legendären Sportlern der „Valanga Azzurra“ Ski gefahren sind?</b><BR />Veronesi: Ja, es war wunderbar: Wir waren alle zusammen am Stilfser Joch Ski fahren. Ich wandelte sozusagen auf den Spuren dieser legendärer Skihelden. Das werden ich nie vergessen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087956_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mit Ihrem Dokumentarfilm bringen Sie den Mythos „Valanga Azzurra“ jüngeren Generationen nahe. Was machte diese Mannschaft einmalig?</b><BR />Veronesi: Die „Valanga Azzurra“ war ein legendäres Team. Es kommt nicht häufig vor, dass im Sport so eine Alchemie unter den Teammitgliedern entsteht. Es war eine Mannschaft, die alles gewonnen hat und nicht nur einmal, sondern sogar 3 Mal. Ich habe es auch als Pflicht empfunden, die Geschichte eines so tollen Teams zu erzählen. Seit ihren Erfolgen sind 50 Jahre vergangen, doch diese Mannschaft ist nie vergessen worden. Das ist ihrem Teamgeist, ihrer Ehrlichkeit und Offenheit zu verdanken. Im Leben ist das Wichtigste, schöne Erinnerungen zu sammeln. Diese jungen Skifahrer haben uns Erinnerungen geschenkt, die wir nie vergessen werden“.<BR /><BR /><BR /><b>Wie ist die Idee zu dieser Doku entstanden?</b><BR />Veronesi: Sie ist unserem Produzenten Domenico Procacci zu verdanken, der mir das Projekt vorgeschlagen hat, weil er wusste, dass mich Skisport begeistert. Ich zögerte anfangs ein wenig, da ich bisher noch nie einen Dokumentarfilm gedreht hatte und kein Journalist bin. Gustav Thöni und Piero Gros sind zurückhaltende Menschen, und ich musste anfangs einen Weg finden, um ihnen verständlich zu machen, dass ich mich, weil ich so „Ski“-begeistert bin, als einer von ihnen fühle. Und danach war alles ganz einfach. Sie waren so freundlich, mir die Tür ihres Hauses, ihres Herzens und ihrer Erinnerungen zu öffnen. Dieser Film war möglich, weil sie offen über ihre Erlebnisse gesprochen haben.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087959_image" /></div> <BR /><BR /><b>Im Film sagen Sie zu Gustav Thöni: „Ich wollte wie Sie sein.“ Was hat Sie an dem Sportler so beeindruckt?</b><BR />Veronesi: Als Kind kam mir vor, Thöni würde bei seinen Skiabfahrten tanzen. Als ich dann mit ihm am Stilfser Joch Ski gefahren bin, dachte ich: „Jetzt habe ich meinen Kindheitstraum verwirklicht.“ Ich habe versucht, in Gesprächen auf den Pisten, in den Sesselliften und beim Biertrinken, die wahre Natur des Champions zu erkunden. Ich glaube, das ist mir gelungen und darüber bin ich sehr glücklich.<BR /><h3> „Wir haben Skigeschichte geschrieben“</h3><BR />Üblicherweise ist er nicht sehr gesprächig, doch in Rom ist er der Star: Gustav Thöni war beim römischen Filmfest gefragt wie noch nie. Journalisten rissen sich um ihn, Fotografen wollten ihn unbedingt vor die Kamera bekommen. Als einer der Protagonisten von „La Valanga Azzurra“, dem Dokufilm von Regisseur Giovanni Veronesi über die legendäre Skimannschaft der 1970-er Jahre, steht der 73-Jährige beim Filmfest in Rom im Rampenlicht. Geduldig hat er unsere Fragen beantwortet.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087962_image" /></div> <BR /><BR /><b>Hätten Sie jemals gedacht, dass man einen Dokumentarfilm über Sie und die „Valanga Azzurra“ drehen würde?</b><BR />Gustav Thöni: Eigentlich nicht. Ich bin überrascht, wie groß das Interesse für unser Team immer noch ist, obwohl 50 Jahre seit unseren Erfolgen vergangen sind. Wir haben Skigeschichte geschrieben und Spuren hinterlassen. Die Leute haben unseren echten Teamgeist erkannt. Vor uns war Skisport in Italien nicht populär, nach unseren Erfolgen wollte jeder Ski fahren. <BR /><BR /><BR /><b>Im Team gab es viel interne Rivalität, nicht wahr?</b><BR />Thöni: Jeder wollte besser abschneiden als der andere. Jeder versuchte, schneller zu sein, aber letztlich war das ein Ansporn, der uns alle besser werden ließ. Rivalität ist im Sport wichtig, um sich zu verbessern. Wenn der andere gewann, ärgerte man sich ein bisschen – natürlich am meisten über sich selbst. Aber das hat die Freundschaft nicht getrübt.<BR /><BR /><BR /><b>Sie haben mit 27 Jahren die Skier an den Nagel gehängt, das ist aus heutiger Sicht sehr früh. Warum?</b><BR />Thöni: Damals war alles ganz anders. Ich hatte große Erfolge erzielt, doch dann kam Ingemar Stenmark, der unerreichbar war. Außerdem kamen meine Kinder zur Welt. Der Skisport erforderte viele Opfer, man musste den ganzen Sommer über trainieren. Ab einem gewissen Punkt habe ich gesagt, jetzt ist Schluss, und habe mich um das Hotel meiner Familie in Trafoi gekümmert. <BR /><BR /><BR /><b>Hat die „Valanga Azzurra“ dazu beigetragen, dass Südtirol als Urlaubsziel interessant wurde?</b><BR />Thöni: Ja. Davor war der Skisport nur für Wenige möglich, nach der „Valanga Azzurra“ ist die Zahl der Skibegeisterten stark gestiegen, plötzlich wurden viele Skipisten gebaut. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087965_image" /></div> <BR /><b>Nach Ihrer Karriere als Skifahrer haben Sie Ski-Idol Alberto Tomba trainiert. Auch er hat Skigeschichte geschrieben...</b><BR />Thöni: Tomba und seine Generation haben alles verändert. Er war in jeder Hinsicht ein besonderer Mensch, nicht nur im sportlichen Sinne. In nur wenigen Jahren machte er eine sehr steile Karriere. Er hatte ein riesiges Talent, aber Pünktlichkeit war nicht seine Stärke. Im Gegensatz zu uns von der „Valanga azzurra“ kam er nicht aus den Bergen, sondern aus der Stadt. Seinen Erfolg verdankte er auch seinem Vater, der als erster sein Talent erkannt hat. Tomba war auch ein Einzelgänger, er hatte keine Mannschaft um sich. <BR /><BR /><BR />Sie sind mit Regisseur Veronesi am Stilfser Joch Ski gefahren. Sind Sie immer noch gern auf Skiern unterwegs?<BR />Thöni: Ich habe 12 Enkelkinder, mit denen ich gern Ski fahre und manchmal bin ich auch mit unseren den Gästen unterwegs. <BR /><h3> „Ein Team aus tollen Burschen“</h3><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087968_image" /></div> <BR /><BR />Fast niemand hat das Phänomen „Valanga Azzurra“ so von der Nähe beobachtet, wie Sportjournalist Franz Sinn. Als Urgestein des Südtiroler Journalismus und langjähriger „Dolomiten“-Sportchef kann der gebürtige Traminer viele Anekdoten über jene Skifahrer erzählen, die ab 1974 Geschichte geschrieben haben. Sinn erinnert sich an die Skihelden Gustav Thöni, Erwin Stricker, Piero Gros...<BR /><BR /><BR /><b>Südtirols Ski-Sport hat viele schillernde Figuren hervorgebracht. Eine davon ist Erwin Stricker, der mit Gustav Thöni, Helmuth Schmalzl und Piero Gros zur „Valanga Azzurra“ gehörte. Wer hat Sie damals am meisten beeindruckt?</b><BR />Franz Sinn: Jedes Mitglied dieser legendären Skimannschaft war auf seine Art einmalig. Das ganze Team bestand aus tollen Burschen. Jeder hatte seinen Charakter und seine Eigenschaften, aber die schillerndste Figur war sicher Erwin Stricker. Er war ein verrückter Bursche. Er hat Höhen und Tiefen erlebt und war viele Jahre in den Schlagzeilen. Ich habe ihn noch am Tag vor seinem Tod, er starb an einen Hirntumor, im Krankenhaus besucht. <BR /><BR /><BR /><b>Mit der „Valanga Azzurra“ wurde der Skisport plötzlich italienweit populär und zum Massenphänomen...</b><BR />Sinn: Vor den Erfolgen der „Valanga Azzurra“ war Ski ein Sport nur für gut Betuchte, danach wollte jeder Ski fahren. Überall entstanden in Südtirol Skipisten und Aufstiegsanlagen. Halb Italien saß vor dem Fernseher, um die Mannschaft anzufeuern. Noch nie war Ski so beliebt gewesen. <BR /><BR /><BR /><b>Der Kern dieser famosen Mannschaft war Trainer Mario Cotelli aus Sondrio, haben Sie noch Erinnerungen an ihn?</b><BR />Sinn: Cotelli war der Gottvater dieser Mannschaft. Er war sehr streng, er hat aber auch auf entscheidende Weise zur Popularität des Teams beigetragen. Unter seiner Führung wurde Gustav Thöni viermal Weltcup-Gesamtsieger und Piero Gros einmal. 1978 trat Cotelli zurück, ist aber in der Welt des Skisports geblieben und hat in seiner extrovertierten Art stets seine Meinung zu aktuellen Themen kundgetan.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1087971_image" /></div> <BR /><BR /><b>Viele Skifahrer der darauffolgenden Generationen wollten diese „tollen Burschen“ nachahmen, nicht wahr?</b><BR />Sinn: Ja, sie war auch Vorbild für die sogenannte „Valanga rosa“ mit talentierten Skifahrerinnen wie Debora Compagnoni und Isolde Kostner, die ebenfalls Skigeschichte geschrieben haben. Im selben Ausmaß wie damals hat sich das Phänomen jedoch nicht wiederholt. <BR /><BR /><BR /><b>Heute fehlt es an Stars im italienischen Skisport. Warum?</b><BR />Sinn: Ich denke, es mangelt vor allem an Opferbereitschaft. Talent allein genügt nicht mehr, man muss hart arbeiten, um zum Erfolg zu gelangen. Ski ist heute kostspielig und anstrengend. Nicht jeder ist bereit, sich in Jugendjahren, große Mühen auf sich zu nehmen, um an die Spitze zu gelangen. Hinzu verdient man im Skisport nicht so viel wie in anderen Sportarten, wie zum Beispiel im Tennis. <BR /><BR /><BR /><b>Auch die Begeisterung der Zuschauer für den Skisport ist nicht mehr so groß, wie zu Zeiten von Thöni und Stricker...</b><BR />Sinn: Es gibt unzählige Wettrennen über die ganze Welt, Weltmeisterschaften, Olympische Spiele... Der Terminkalender ist voll und die Leute verlieren den Überblick. <BR /><h3> Wirtschaftliche Auswirkungen</h3><BR />Die großen Erfolge der „Valanga Azzurra“ mit Gustav Thöni an der Spitze haben im ganzen Land die Skibegeisterung geweckt und so hat sich diese Sportart vom Elitesport zum Freizeitsport gewandelt. Dies hatte unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Skigebiete und Hotelbetten in den italienischen Alpen, es kam zu einem Boom des Wintertourismus. So ist beispielsweise in Südtirol die Bettenzahl zwischen 1975-1980 von 180.000 auf 235.000 gestiegen, d.h. in 5 Jahren ein plus von 55.000 Betten. Auch die Nächtigungen und hier vor allem im Winter, die vorher nicht so ins Gewicht fielen, sind explodiert: von 13. Millionen auf 20. Millionen (+ 7.000.000). Sodass man in Südtirol sogar 1983 einen Betten-Stopp einführte, um die Entwicklung etwas einzubremsen. Fakt ist, die Erfolgsgeschichte der „Valanga Azzura“ war ein wichtiger Grundstein für die heutige wirtschaftliche Entwicklung des Südtiroler Tourismus.