Im Interview spricht er über aktuelle Tendenzen, welche Rolle das Internet dabei spielt und was Eltern tun können, um ihre Kinder zu stärken – ohne sie zu überfordern.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1154541_image" /></div> <BR /><BR /><b>Die Corona-Pandemie liegt hinter uns. Dennoch scheint die Krise bei Kindern und Jugendlichen nachzuwirken. Ist dem so? Was beobachten Sie und Ihre Kollegen in der Praxis?</b><BR /><b>Prof. Jörg Dötsch</b> (im Bild): Während der Pandemie haben wir bei Kindern und Jugendlichen ein vermehrtes Auftreten bestimmter psychischer Störungen beobachtet. Es gab mehr Angststörungen, mehr Depressionen und mehr Essstörungen. Was wir derzeit feststellen, ist eine nach wie vor erhöhte Ängstlichkeit bei Kindern – möglicherweise, weil immer wieder neue Krisen auftreten. Seit Corona sind wir ja nie wirklich aus dem Krisenmodus herausgekommen. Zudem sehen wir weiterhin eine Zunahme von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Bereits vorhandene Tendenzen wurden durch die Pandemie deutlich verstärkt.<BR /><BR /><b>Gibt es Zahlen, die diese Entwicklung belegen?</b><BR />Dötsch: Es gibt klare Tendenzen. Erstens wissen wir, dass psychische Störungen häufiger auftreten, wenn Familien unter ungünstigeren Bedingungen leben – beispielsweise bei Armut. Bei diesen Kindern sehen wir einen deutlich höheren Anteil psychischer Auffälligkeiten. Bis zu einem gewissen Punkt sind Ängste normal und für die Entwicklung des Menschen sogar wichtig – sie schützen ja auch vor realen Gefahren. Das hat nicht zwingend mit aktuellen Krisen zu tun. Problematisch wird es, wenn der Alltag der Kinder und Jugendlichen so stark beeinträchtigt ist, dass sie kein normales Leben mehr führen können – etwa wenn sie nicht mehr in die Schule gehen wollen. Dann werden Ängste belastend und müssen behandelt werden.<BR /><BR /><b>Eine Entwicklung, die sich auch bei Erwachsenen beobachten lässt ...</b><BR />Prof. Dötsch: Ja, absolut. Und klar ist auch: Die Sorgen der Menschen haben reale Ursachen – die Klimakrise, kriegerische Auseinandersetzungen, politische Unsicherheiten. Diese Themen wirken heute geballter auf uns ein als früher.<BR /><BR /><b>Sind die Auswirkungen von Krisen auf Kindern und Jugendlichen in Deutschland mit Situation der in Südtirol vergleichbar?</b><BR />Prof. Dötsch: Am Osterkongress nehmen auch Kolleginnen und Kollegen aus Südtirol, Österreich und der Schweiz teil. Insgesamt beobachten wir ähnliche Entwicklungen in all diesen Ländern.<BR /><BR /><b>Einen entscheidenden Einfluss auf diese Entwicklung dürfte auch der stark gestiegene Medienkonsum haben?</b><BR />Prof. Dötsch: Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Die Mediennutzung nimmt stetig zu – was jedoch nicht im gleichen Maße wächst, ist die Medienkompetenz. Das zeigen auch Studien. Die Kinder und Jugendlichen haben große Schwierigkeiten, die Vielzahl an Informationen aus dem Internet richtig einzuordnen. Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren Maßnahmen zur Begrenzung der Mediennutzung ergriffen werden – einige Länder gehen hier bereits voran. Es geht schließlich um das Wohlergehen der nächsten Generationen. <BR /><BR /><b>Der Krisenmodus hält an. Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu stärken und ihnen Zuversicht zu geben – ohne sie in Watte zu packen?</b><BR />Prof. Dötsch: Das ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Wir haben dazu sogar ein ganzes Buch geschrieben. Wir glauben, dass es wichtig ist, zwischen kritischen und unkritischen Themen zu unterscheiden: Junge Eltern werden heute durch viele Dinge stark verunsichert – sie wollen alles richtig machen und setzen sich selbst damit unter einen enormen Perfektionsdruck. Diese Haltung führt oft zu fehlender Gelassenheit im Umgang mit den Kindern – was sich wiederum auf die Kinder überträgt. Eltern sollten sich weniger unter Druck setzen und sich nicht von Ängsten leiten lassen. Es ist beispielsweise kein Problem, wenn ein Kind vor der Einschulung noch nicht lesen kann – um nur ein Beispiel zu nennen. Die erwähnte Gelassenheit hilft, den oft herausfordernden Alltag zu meistern. Wir müssen uns nicht einem inneren Perfektionismus ausliefern – auch nicht in der Erziehung.<BR /><BR /><b>Was tun, wenn Kinder Sorge vor Krisen haben? </b><BR />Prof. Dötsch: Wir sollten den Kindern auf jeden Fall zuhören, offen sein, ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und nichts kleinreden. Es ist wichtig, dass wir ihnen helfen, das Geschehen – mit unserer Lebenserfahrung – einzuordnen. Die Geschichte zeigt: Trotz aller Krisen wenden sich die Dinge immer wieder auch zum Guten.<h3> Zur Person</h3>Dötsch ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln. Von 2021 bis 2023 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Mitglied im Expertenrat Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung. <BR /><BR />Prof. Jörg Dötsch ist Autor zahlreicher Publikationen. 2024 erschien das Buch „Großwerden – Gesundheit und Entwicklung in turbulenten Zeiten. Die ersten 10 Lebensjahre“ von Prof. Dr. Jörg Dötsch und Johanna Schoener (DuMont Buchverlag).