Er feiert mit seiner Freundin Geburtstag in Kiew – dann überstürzen sich die Ereignisse. „Wären wir 2 Stunden später gestartet, wären wir gar nicht mehr weggekommen. Da war die Brücke gesprengt, über die wir fahren mussten“, sagt Rieder. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="741476_image" /></div> <BR /><b>Herr Rieder, warum waren Sie bei Kriegsausbruch in der Ukraine?</b><BR />Armin Rieder: Ich habe eine Marketing-Agentur für Social Media und wir liefern auch Software. Zwei meiner Programmierer sind Ukrainer und leben in Kiew. Ich war zum sechsten Mal dort, ich habe auch seit 2 Jahren eine Freundin aus der Ukraine. Sie hatte Geburtstag und ich war deshalb dort – ich war schon seit einer Woche in Kiew.<BR /><BR /><b>Aber eine Eskalation des Konflikts lag in der Luft...</b><BR />Rieder: Ja und nein. Meine Freundin war – so wie viele – überzeugt, Putin bluffe, alles sei Strategie. Dann ist es ganz anders gekommen. <BR /><BR /><b>Wo waren Sie bei Kriegsausbruch?</b><BR />Rieder: Wir haben in einem Airbnb im Zentrum von Kiew geschlafen. Wir sind sogar erst um 9.30 Uhr aufgewacht, hatten die Handys auf lautlos gestellt. <BR /><BR /><b>Sind Sie durch die Angriffe nicht aufgewacht?</b><BR />Rieder: Da gab es nur einen Raketenangriff auf den Flughafen in der ersten Nacht. Wenn ich zurückdenke, kann ich mich dunkel daran erinnern, dass ich im Hintergrund Sirenen gehört habe. <BR /><BR /><b>Was passierte, als Sie aufwachten?</b><BR />Rieder: Wir haben natürlich auf unsere Handys geschaut und haben überall gelesen, was passiert war, die Eltern meiner Freundin hatten x-Mal angerufen. Wir sind hinausgerannt, haben alles zusammengepackt und sind zuerst zu den Eltern meiner Freundin gefahren, sie leben auch in Kiew. Dort haben wir die Sachen meiner Freundin zusammengepackt. <BR /><BR /><b>Sie war sofort überzeugt, mit Ihnen zu fliehen?</b><BR />Rieder: Ja, auch ihre Mutter. Ihr Stiefvater wollte bleiben, sagte, es sei gefährlich, auf 1400 Kilometern Strecke könne sehr viel passieren. Deshalb haben wir eine Weile herumdiskutiert und sind erst gegen 13.30 Uhr losgefahren – im Auto der Mutter meiner Freundin. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="741479_image" /></div> <BR /><b>Wohin sind sie gefahren?</b><BR />Rieder: An die polnische Grenze. 22 Stunden fast nonstop waren wir unterwegs, für eine Strecke, die man normalerweise in 12 Stunden schafft. Wir haben zugleich immer die Nachrichten gehört, da sprachen sie von Bombardierungen entlang der weißrussischen Grenze – also sind wir Umwege gefahren, über löchrige, matschige Straßen, im Niemandsland. Wenn wir tanken mussten, bin ich an eine möglichst leere Tankstelle gefahren, ich hatte Angst, dass sie uns das Auto stehlen könnten. Irgendwann gab es dann immer mehr Checkpoints der ukrainischen Armee, die Soldaten trugen Maschinengewehre. <BR /><BR /><b>Wurden Sie schikaniert?</b><BR />Rieder: Nein, sie haben uns nur angeleuchtet. Ukrainische Männer dürfen ja nicht ausreisen, sie müssen sich bereit halten. Wir Zivilisten wurden dann problemlos durchgelassen. <BR /><BR /><b>Waren Sie denn schon öfter in so einer Situation? Sie wirken ruhig, während Sie das erzählen. Hatten Sie keine Angst?</b><BR />Rieder: Nein, ich war das erste Mal in so einer Situation. Angst hatte ich keine. Es war schlimmer, bis zu Mittag in der Wohnung zu sitzen und nichts zu tun. Mir war es lieber, im Auto zu sitzen und so schnell wie möglich das Ziel, die polnische Grenze, zu erreichen. Auf der Autobahn lagen dann überall Maschinengewehre zur Entnahme bereit. <BR /><BR /><b>Wie, Maschinengewehre? Sie hätten einfach ein MG aufheben und mitnehmen können? Können Sie denn damit umgehen?</b><BR />Rieder: Ja. Ich habe mir sogar überlegt, ob ich das tun soll. Immerhin war ich mit den 2 Frauen allein. Aber ich habe mir dann überlegt, dass ich nicht mehr hätte sagen können, dass ich ein Zivilist bin, deshalb habe ich es nicht mitgenommen. Und umgehen, naja, ich denke, die sind so einfach gebaut, dass wohl jeder imstande ist, es zu benutzen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="741482_image" /></div> <BR /><b>Am Freitag Mittag haben Sie dann die polnische Grenze erreicht. Und dann?</b><BR />Rieder: Ja, das war dann noch eine lange Sache. Es gab Staus, Tausende Ukrainer wollten ausreisen, vor der Grenze stand die Militärpolizei. Sie suchten nach Männern, die ihr Land verlassen wollten. Irgendwann habe ich die Schlange überholt und an der Grenze meinen italienischen Pass gezeigt, wir kamen durch. Es ging danach dann immer langsamer, die Leute brauchten 2 Tage. Man konnte dann nur noch mit Bargeld zahlen, Karten wurden nicht mehr akzeptiert. An der Grenze hat dann die Mutter meiner Freundin wie abgemacht das Auto wieder genommen und ist zurück in die Ukraine gefahren. <BR /><BR /><b>Und Sie standen zu Fuß am polnischen Grenzposten? Wo gingen Sie dann hin?</b><BR />Rieder: Meine Freundin arbeitet für eine IT-Firma und hat einen Arbeitskollegen, der vor Jahren vor Lukaschenko nach Polen geflohen ist. Er hat im Internet Flüchtenden seine Hilfe angeboten, wir haben ihm geschrieben. Er ist wenig später gekommen – er wohnt nahe der polnischen Grenze. Wir haben bei ihm übernachtet, am nächsten Tag hat er uns nach Krakau gefahren und dort haben wir einen Flug zurück nach Treviso bekommen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-53107486_quote" /><BR /><BR /><b>Und dort stand Ihr Auto.</b><BR />Rieder: Genau. Und dann sind wir nach Völs gefahren. Wir sind so froh, hier zu sein, in Kiew wäre es nicht mehr sicher. Und wir sind froh, dass wir zu Mittag gefahren sind – 2 Stunden später wurde eine Brücke gesprengt, über die wir mussten. Da wären wir nicht mehr weggekommen. <BR /><BR /><b>Und wie geht es Ihrer Freundin?</b><BR />Rieder: Sie war schon öfter hier und kennt zum Glück einige Leute. Sie schaut die Nachrichten, postet viele Informationen und versucht, die Leute zu sensibilisieren. Wir wissen nicht, wie lange sie hierbleiben darf und ob sie einen Flüchtlingsstatus bekommt. Zurück kann sie vorerst jedenfalls nicht. <BR /><BR /><b>Und Ihre Mitarbeiter?</b><BR />Rieder: Der jüngere der Beiden hat mir gerade vorher geschrieben...„,trying to secure the area' – also er ist jetzt bewaffnet und versucht, die Umgebung zu sichern. Für ihn hat ein Kunde sogar Geld gespendet, dass er sich und seine Mutter in Sicherheit bringen kann. Der ältere der beiden kann vielleicht nächste Woche wieder arbeiten – die Internetverbindung steht derzeit. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />