<b>Welches Konzept verfolgt das Kuratorenteam in dieser Ausstellung?</b><BR />Bart van der Heide: Das Konzept hat sich organisch entwickelt. Die Sammlung und das Museion verfolgen gemeinsame Werte: Das Vertrauen in ein Museum als öffentliche Arena; im Zentrum sowohl der Sammlung Enea Righi als auch der Tätigkeit des Museions steht der Mensch, und weiters kreieren beide eine Basis für junge Kunst und bieten dieser einen Kontext, in dem sie sich entfalten kann.<BR /><BR /><b>Gibt es ein Beispiel für diese junge Kunst in der Ausstellung?</b><BR />V.d.Heide: Dominique White hat im Frühjahr in einer kleinen Galerie in Florenz ausgestellt und jetzt sind ihre Arbeiten hier in der Sammlung. <BR /><BR /><b>Enea Righi hat dem Museion mehr als 100 Werke als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Das ist ein Zeichen großer Wertschätzung. Warum gerade dem Museion?</b><BR />V.d.Heide: Bevor ich hierhergekommen bin, war ich noch nicht vertraut damit, dass es in den italienischen Museen für zeitgenössische Kunst üblich ist, ihre Sammlungen mit Dauerleihgaben aufzubauen: Die Sammlung im Castello di Rivoli ist eine Dauerleihgabe, ebenso jene im Museo Madre in Neapel…. Und Sie können mir glauben, alle möchten die Sammlung Enea Righi haben! Das Museion hat sie bekommen, weil es unabhängig ist und weil es ein Tor öffnet zu einem internationalen Diskurs. Nicht zuletzt, weil es als ein Ort mit raschen, reibungslosen Abläufen wahrgenommen wird. <BR /><BR /><b>Was das Zeigen der Ausstellung im Haus betrifft?</b><BR />V.d.Heide: Nicht nur. Es gibt aus der ganzen Welt Anfragen für Werke aus dieser Sammlung. Wir können dadurch unser internationales Netzwerk ausbauen und festigen. Wir müssen uns darum kümmern, dass die Kunstwerke in einem guten Zustand zurückkommen, hier sorgfältig aufbewahrt werden. Das bedeutet eine Investition; aber wenn wir von einem anderen Museum, aus Hongkong etwa, etwas brauchen, haben wir gute Chancen; man weiß, dass wir etwas zu geben haben. <BR /><BR /><b>Sie haben weitere hochkarätige Sammlungen im Haus. So das „Archivio di Nuova Scrittura“, das von einer Dauerleihgabe in eine Schenkung umgewandelt wurde. Regelmäßig zeigen Sie Teile aus dieser Sammlung und betreiben Forschung. Für das Projekt zu Lucia Marcucci haben Sie kürzlich den „Italian Council“ als Anerkennung erhalten…</b><BR />V.d.Heide: Mit dieser Anerkennung wird unsere Forschung sichtbar. Seit ich hier bin, haben wir jedes Jahr auch den „PAC/ Plan für zeitgenössische Kunst des Kulturministeriums“ gewonnen. Er ermöglicht uns den Erwerb von Werken, die wir uns mit unserem Budget sonst nie leisten könnten. Aber das alles ist für uns kein Selbstzweck, weder die Erweiterung der Sammlung noch die Forschung, noch die Bildungsarbeit. Die Tätigkeiten stehen nicht für sich, sie stehen im Dienst der Rolle, die das Museion spielen möchte, sollen gemeinsam den Mehrwert der Institution zeigen.<BR /><BR /><b>Von der lokalen Politik wird der Mehrwert daran gemessen, wie viele Eintrittskarten verkauft und ob noch mehr Touristen nach Bozen gelockt werden….</b><BR />V.d.Heide: Natürlich sind uns auch die Besucherzahlen wichtig. Wir sind stolz auf das, was wir machen und wollen es möglichst vielen Leuten zeigen. Aber das ist nicht die einzige Art und Weise, den Wert und die Bedeutung eines Museums zu messen. Ein Museum darf nicht nur ein Tourismusort sein; wir sind ein gemeinschaftsstiftender Ort, sind ein wichtiger Arbeitgeber und geben jungen Talenten eine Entwicklungsmöglichkeit. <BR /><BR /><b>Als Sie vor 4 Jahren Ihre Tätigkeit als Direktor aufnahmen, haben wir ein Gespräch geführt über Ihre Vision des Museions als eines kulturellen gesellschaftlichen Treffpunkts. Seither haben Sie den Museion Art Club und die Museion Academy ins Leben gerufen. Sind das solche Treffpunkte?</b><BR />V.d.Heide: Als ich nach Südtirol gekommen bin, habe ich gesehen, dass es hier sehr viele hochtalentierte junge Menschen gibt. Jeder ist für sich international vernetzt, sehr gut informiert, hat in Südtirol wahnsinnig gute Produktionsbedingungen. Was jedoch fehlt, ist die Möglichkeit, das alles zusammenzubringen. Ein Museum für zeitgenössische Kunst kann eine solche Möglichkeit sein. Deshalb der Art-Club für junge kreative Menschen zwischen 20 und 35. Er kann außerdem eine Brücke bilden zwischen dem Kreativsektor und dem Unternehmertum. <BR /><BR /><b>Vielleicht hätten auch die Älteren gerne einen Treffpunkt?</b><BR />V.d.Heide: Wir haben inzwischen unsere Programme verdreifacht und haben Angebote für die unterschiedlichsten Schichten. Die Museion-Academy spricht zum Beispiel eher das „klassische“ Publikum an. Auch ihm möchten wir einen Ort bieten, wo es sich zuhause fühlen können.<BR /><BR /><b>Es soll mir besser gehen, wenn ich hierher ins Museion komme, als wenn ich allein zu Hause sitze?</b><BR />V.d.Heide: Man kann hier Erfahrungen machen, die man mit anderen teilt. Man kann hier Zugehörigkeit spüren und sich weniger einsam fühlen. <BR /><BR /><b>Kulturinstitutionen stehen weltweit unter Legitimationsdruck. Sind deren gemeinschaftsstiftende Funktion und soziale Verantwortung ein Ausweg aus der Krise vor allem der Museen?</b><BR />V.d.Heide: Dazu muss ich sagen, dass das nicht allein meine Idee ist. Das ICOM/International Council of Museums hat 2022 die Aufgabe von Museen neu definiert. Die Angebote werden nicht für das Publikum gemacht, sondern kollaborativ mit dem Publikum. Dazu gibt es noch keine Methoden oder Modelle. Sie müssen erst entwickelt werden. Ich habe das Museion in Bozen auch deshalb als Arbeitsort ausgewählt, weil er der für mich beste ist, solche Modelle zu entwickeln und umzusetzen. Wir können ein Vorbild für andere sein. Nicht, weil ich das will, sondern weil die komplexe Gegenwart es von uns allen verlangt, unseren Wert als Menschen, unsere Humanitas nicht zu verlieren. Bereits jetzt sind viele neugierig, merken, dass bei uns etwas Neues passiert, schreiben uns an. Obwohl wir in Bozen sind, nicht in Berlin oder London. <BR /><BR /><b>Zurück zur laufenden Ausstellung: Es geht um Zwischenräume, sichtbare und unsichtbare; Türe und Fenster sind ein wichtiges Symbol dieser Übergänge, dieser Schwellen. Schwellen machen oft Angst, auch in der Museumsarbeit selbst?</b><BR />V.d.Heide: In den großen, etablierten Museen sehe ich tatsächlich oft viel Angst. Man versucht alle Leute zufriedenzustellen. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, und als Besucher frage ich mich, worauf man hinauswill oder was es mir persönlich geben sollte. <BR /><BR /><b>Sie sind für eine klare Positionierung in der Museumsarbeit, auch auf die Gefahr hin, dass Sie kritisiert werden oder sich manche nicht angesprochen fühlen?</b><BR />V.d.Heide: Es ist wichtig, sich zu profilieren und zu zeigen, was man als die eigene Aufgabe sieht. Es geht um die Wirkung, und zwar um eine längerfristige. Unsere Projekte gehen über Jahre. Wir schaffen das leichter als Museen mit 300 Mitarbeitern, weil die Innovation neben neuen Programmen auch einer veränderten Organisation bedarf. Wir schotten uns nicht ab, wir sind durchlässig für das, was von außen kommt, suchen in allen unseren Tätigkeiten den Dialog mit außen. <BR /><BR /><b>Wenn manche den Dialog nicht wollen? In ihren „Blasen“, sprich Vorurteilen gefangen bleiben?</b><BR />V.d.Heide: Alle sind frei, ihre Meinung öffentlich zu äußern und das Museion, beziehungsweise das, was wir als unsere kulturelle Aufgabe definiert haben, zu kritisieren. Wichtig ist, dass man für Konfrontationen zusammenkommt, sich anhört, was der jeweils andere zu sagen hat. Selbst wenn man in einer „Blase“ lebt, sollte man sich bewusst sein, dass es nicht nur die eigene Wahrheit gibt, sondern auch andere. Zur Gestaltung des Dialogs haben wir als Kultureinrichtung ganz konkrete Werkzeuge zur Verfügung. Wir können der Politik Modelle bieten für die Gestaltung der Zivilgesellschaft.