<b>Herr Peintner, Sie betreuen einige asexuelle Klienten. Öffentlich darüber reden aber möchte niemand. Warum?</b><BR />Michael Peintner: Weil Sex zu haben zum Leben dazugehört, sonst ist man gefühlt nicht gesellschaftsfähig – so wird es zumindest propagiert. Andererseits ist Sexualität generell und Asexualität im Besonderen aber ein riesiges Tabu, man spricht nicht darüber. <BR /><BR /><b>Womit tun sich Asexuelle schwer?</b><BR />Hier gibt es einen extremen Geschlechterunterschied. Während Frauen dieses fehlende Verlangen nach Geschlechtsverkehr leichter annehmen und damit leben können, ist es für Männer wahnsinnig schwierig, das zu akzeptieren. Sie fühlen sich ihrer Männlichkeit beraubt.<BR /><BR /><b>Was genau bedeutet Asexualität im klinischen Kontext?</b><BR />Asexualität ist keine Störung und keine Krankheit, es ist eine heterogene Gruppe mit einer sexuellen Orientierung, eine sexuelle Identität wie die Gleichgeschlechtlichkeit, Bisexualität und Heterosexualität. Dabei geht es nicht darum, dass man bewusst enthaltsam lebt, sondern dass man einfach keine Lust auf Sex hat und damit auch zufrieden ist, obschon rein körperlich alles funktioniert und man auch Nachwuchs zeugen kann. <BR /><BR /><b>Was können die Ursachen für Asexualität sein?</b><BR />Warum ist jemand homosexuell? Wir wissen es nicht. <BR /><BR /><b>Aber wie unterscheidet man diese sexuelle Orientierung von einer Phase der Lustlosigkeit?</b><BR />Das ist schwer zu sagen. Sexualität erleben wir in Wellenbewegungen. So kann diese Lustlosigkeit zum Beispiel über Jahre sehr stark ausgeprägt sein und dann vielleicht auch wieder abflachen: genauso wie sich eine Frau in eine Frau verliebt und irgendwann wieder in einen Mann. Sexuelle Orientierungen müssen also nicht für ewig so sein. Wenn das sexuelle Verlangen jedoch dauerhaft verschwindet oder schon von der Pubertät an nie da war – ohne dass es für Betroffene belastend war, kann man von Asexualität ausgehen. <BR /><BR /><b>Mit welchen Anliegen kommen asexuelle Menschen zu einem Sexualtherapeuten?</b><BR />Bevor sie zu mir kommen, informieren sie sich meist ausgiebig im Internet. Menschen, die zu mir kommen, haben darum bereits meist eine Vermutung und möchten diese dann widerlegt oder bestätigt wissen und klären, wie man damit nun umgeht. <BR /><BR /><b>Was genau bedrückt Betroffene?</b><BR />Die meisten asexuellen Menschen belastet nicht das eigene fehlende Sexleben, sondern die daraus resultierenden Probleme in der Paarbeziehung. Sie sagen, ihnen täte der Partner leid, weil er das bräuchte, andere kämpfen auch mit Verlustängsten, weil die Beziehung darunter leidet. In der Folge mache ich oft Paargespräche, damit der Partner versteht, worum es geht. Wenn die Verbundenheit stark ist, darf fehlender Geschlechtsverkehr kein Trennungsgrund sein. Meine Aufgabe ist es, aufzuklären. Manchmal ändert sich das Lustempfinden von asexuellen Menschen auch wieder, in anderen Fällen versucht man gemeinsam Wege im Umgang damit zu finden. Hier darf man die romantische Ebene nicht vergessen. Asexuelle sind nicht automatisch aromantisch. Vielen Paaren reicht darum auch Streicheln und Küssen aus. Vereinzelt trifft man auch Arrangements, etwa, dass der Partner die Möglichkeit bekommt, sich anderweitig sexuell zu befriedigen. <BR /><BR /><b>Und wie gehen Asexuelle mit dem Kinderwunsch um?</b><BR />Es gibt Asexuelle, die sich trotzdem für Vaginalverkehr entscheiden, andere wenden die künstliche Befruchtung, die sogenannte Bechermethode, an. <BR /><BR /><b>Am 6. April wurde der Welttag der Asexualität gefeiert. Wie wichtig ist die Sensibilisierung dafür?</b><BR />Sensibilisierung für Sexualität im Allgemeinen ist sehr wichtig. Denn obwohl heute jeder Zwölfjährige kostenlos Zugang zur Pornografie hat, erlebe ich junge Menschen, die weder über Sexualität reden können, noch mit 30 Jahren wissen, wie Geschlechtsverkehr geht. <BR /><BR /><b>Und was wünschen Sie sich für die asexuellen Menschen?</b><BR />Dass sie in die Beratung gehen und sich Unterstützung holen, wenn sie ihre sexuelle Orientierung belastet. Oft hilft es schon, das Thema mit jemandem zu besprechen und Informationen zu bekommen.