Laut Rita Franceschini entwickelt sich die Deutsche Sprache in Südtirol absolut gleich wie in den sogenannten Kernländern. Warum, erklärt sie im Interview.<BR /><BR /><b>Der mittlerweile bereits vierte Bericht befasst sich mit „Deutsch in Europa“. Welche Erkenntnisse gibt es denn über das Deutsch in Südtirol?</b><BR />Rita Franceschini: Die Analyse zeigt, Südtirol ist sozusagen „Klein-Deutschland“. Es gibt im Sprachgebrauch – Hochsprache wie Dialekt – keinerlei Unterschiede zu den sogenannten Kernländern Deutschland, Österreich und Schweiz. Auch dort gibt es überall regionale Dialekte und dazu einen sehr homogenen Gebrauch der Standardsprache. Südtirol liegt da absolut im gleichen Trend. Man müsste den sogenannten DACH-Raum also eigentlich um ein „S“ für Südtirol erweitern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69306972_quote" /><BR /><BR /><b>Das heißt im Umkehrschluss, in anderen Gebieten mit einer deutschen Minderheit zeichnen sich Unterschiede im Sprachgebrauch ab?</b><BR />Franceschini: Ja, durchaus. Man denke nur an die Sprachinsel der Zimbern in Lusern. Dort hat sich die bairische Sprachvarietät Zimbrisch derart isoliert entwickelt, dass sie für Nicht-Zimbern nur mehr schwer verständlich ist. Andernorts hingegen hat sich ein Deutsch erhalten, wie es vor mehreren Generationen gesprochen wurde. Das heißt, Entwicklungen der deutschen Sprache, die es in den Kernländern gegeben hat und gibt, wurden und werden nicht mitgemacht. Das gilt beispielsweise für die Banater Schwaben. Das dort verwendete Deutsch klingt irgendwie „antiquiert“. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich die Bevölkerung zwar ihren deutschen Dialekt bewahrt hat, sich aber ganz bewusst vom Deutsch der Hochsprache distanziert. Das ist etwa im Elsass der Fall. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69306976_quote" /><BR /><BR /><b>Und in Südtirol ist von all dem nichts passiert, weil ...?</b><BR />Franceschini: Ein Grund ist, dass Südtirol keine Sprachinsel ist, sondern Teil des territorialen Sprachraumes. Keine Sprache hält sich an Ländergrenzen, sie schwappt immer über wie ein Kuchenteig über die Backform. Und dann ist der Schutz der deutschen Sprache in Südtirol heutzutage so gut wie ansonsten in Europa höchstens noch in Rumänien. Vom Kindergarten bis zur Universität, in allen Institutionen, in jeder alltäglichen Situation wird die deutsche Sprache von den deutschen Muttersprachlern verwendet. Hinzu kommen die deutschsprachigen Medien, auch die aus den Kernländern können hier gehört, gesehen und gelesen werden. Zudem gab es in Südtirol stets ein starkes Bewusstsein, zum deutschsprachigen Kulturraum zu gehören. Die Bevölkerung hat sich in Südtirol nie von der deutschen Sprache abgewandt und sich keinem Druck gebeugt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69307270_quote" /><BR /><BR /><b>Sie nannten das Elsass als Gegenbeispiel: Welche Gründe hat diese Distanz zur deutschen Hochsprache?</b><BR />Franceschini: In vielen europäischen Ländern wurden mit dem Zweiten Weltkrieg Deutsch sprechende Menschen mit Nazis gleichgesetzt. Deutsch war die Sprache des Feindes. Nach dem Krieg war Deutsch sprechen daher in weiten Teilen Europas nicht gut angesehen oder gar gefährlich – man denke nur an die Vertreibungen aus Polen, der Tschechoslowakei oder Ungarn. Manche haben sich auch ganz bewusst – wie die Elsässer – durch die Abkehr von der deutschen Sprache von Nazi-Deutschland distanziert. Mit der zeitlichen Distanz verschwinden vielerorts diese Vorbehalte wieder, und man bekennt sich wieder zur deutschen Sprache. Und weil deutsche Schulen einen guten Ruf haben, schicken mittlerweile auch immer öfter anderssprachige Mitbürger ihre Kinder auf die deutsche Schule. Das tut einer Minderheitensprache gut, denn sie kann nur überleben, wenn sie neue Sprecher bekommt. <BR /><BR /><b>Gilt das auch für Südtirol?</b><BR />Franceschini: Deutsche Muttersprachler sind in Südtirol keine Minderheit, sondern „nur“ eine Minderheit in Italien. Aber dennoch: Ja, auch für Südtirol wird es wichtig sein, sich neuen Sprechern zu öffnen. Generell gilt: Je mehr sich eine Gesellschaft verschließt, desto gefährdeter ist sie.