Einer, der die Probleme aus der Praxis genauestens kennt, ist Christian Plitzner, Direktor des Beratungsrings für Berglandwirtschaft (BRING). <b><BR /><BR /><BR /><BR />Herr Plitzner, in Südtirol geben jährlich rund 100 Betriebe die Milchproduktion auf. In den Jahren 2023 und 2024 gab es wieder bessere Milchpreise am Markt – hat sich dadurch die Situation etwas entspannt?</b><BR />Christian Plitzner: Die höheren Preise haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Stimmung im Sektor besser und ein gewisser Aufbruch zu spüren ist. Dennoch hat sich die Wirtschaftlichkeit nicht in dem Maß verbessert wie die Preise, da auch die Kosten gestiegen sind. Unabhängig von den Marktentwicklungen gibt es jedoch verschiedene Gründe, warum Betriebe die Milchproduktion aufgeben. Aus meiner Sicht ist grundlegend, dass in den meisten Fällen der Hof nicht aufgegeben wird – es gibt also kein Höfesterben. Vielmehr orientieren sich die Bauern um.<BR /><BR /><BR /><b>Aus kultureller Perspektive ist das dennoch bedauerlich, schließlich hat Südtirol eine lange Tradition in der Milchproduktion und -veredelung…</b><BR />Plitzner: Ohne Frage. Aber man muss die Gegebenheiten vor Ort betrachten. Es ist heute mit den gegebenen Realitäten in den Betrieben schlicht nicht mehr möglich, mit nur wenigen Tieren die Milchproduktion wirtschaftlich aufrechtzuerhalten. Zudem betreiben rund drei Viertel unserer Mitglieder die Landwirtschaft im Nebenerwerb – das betrifft nicht nur die Milchproduktion, sondern die Berglandwirtschaft insgesamt.<BR /><BR /><BR /><b>Ab welcher Anzahl an Kühen lohnt sich die Milchproduktion überhaupt noch – 10,15?</b><BR />Plitzner: Eine konkrete Zahl zu nennen, ist nicht möglich. Je kleiner der Betrieb, desto höher die Fixkosten pro produziertem Kilogramm Milch. Diese Betriebe sind in Südtirol besonders gefährdet. Das heißt, der Trend weg von der Milchproduktion wird weitergehen, auch wenn die Situation bei uns deutlich besser ist als bei unseren südlichen und nördlichen Nachbarn. Wie gesagt: In Südtirol gibt es kaum ein Höfesterben, im Gegensatz zu anderen Regionen. Aber es sind nicht nur wirtschaftliche Gründe, die Milchbauern zum Umstieg bewegen.<BR /><BR /><BR /><b>Welche Gründe gibt es noch?</b><BR />Plitzner: Häufig spielt der Generationswechsel eine Rolle. Die jüngere Generation überlegt genau, ob sie die Milchproduktion mit all ihren Anforderungen – wie den festen Melkzeiten morgens und abends oder der körperlich anstrengenden und teils gefährlichen Feldarbeit – weiterführen möchte.<BR /><BR /><BR /><b>Das Halten von Mastvieh für die Fleischproduktion wäre im Sommer, wenn die Tiere auf der Alm sind, weniger arbeitsintensiv…</b><BR />Plitzner: Das stimmt, aber die Herausforderungen sind in diesem Bereich nicht unbedingt geringer. Ähnliches gilt für den Gemüseanbau, der derzeit der am stärksten wachsende Bereich unter den Alternativen zur Milchproduktion ist.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68894660_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was bedeutet „am stärksten wachsend“ in Zahlen?</b><BR />Plitzner: Etwa zehn Prozent unserer Mitglieder bauen inzwischen Gemüse an. Auch bei den Weiterbildungskursen sehen wir eine starke Nachfrage in diesem Bereich. Doch ob Fleisch oder Gemüse: In Südtirol muss man immer auch das Marketing und den Verkauf im Blick behalten. Ein Milchbauer liefert seine Milch zur Sammelstelle, die Sennereigenossenschaften kümmern sich um den Rest. Beim Gemüse- oder Fleischverkauf ist das anders.<BR /><BR /><BR /><b>Weil die Vermarktungsstrukturen in diesen Bereichen weniger gut ausgebaut sind?</b><BR />Plitzner: Es gibt einzelne Initiativen, wie Geisler Rind, Villnösser Brillenschaf oder Kovieh im Fleischbereich, und die VIP im Vinschgau vertreibt Blumenkohl, um ein Beispiel beim Gemüse zu nennen. Aber eine flächendeckend professionelle Organisation wie bei Milch oder Äpfeln fehlt. Für den einzelnen Bauern bedeutet das zusätzlichen Aufwand, da er sich um Aspekte kümmern muss, die über seine landwirtschaftliche Arbeit hinausgehen.<BR /><BR /><BR /><b>Mit anderen Worten: Gemüse- und Fleischproduktion sind nicht automatisch lukrativere Alternativen?</b><BR />Plitzner: Genau. Die Qualität ist natürlich essenziell, und die ist in den meisten Fällen vorhanden. Aber wenn der Weg zum Kunden – sei es durch Direktvermarktung am Hof, Märkte oder Dritte – nicht optimal organisiert ist, wird es schwierig. In Südtirol gibt es in diesem Bereich noch viel Luft nach oben. Es gibt Fortschritte auf kleiner Ebene, aber auf größerer Ebene sind die Vermarktungsstrukturen noch nicht ausreichend entwickelt.<BR /><BR /><BR /><b>Wie sieht es mit der Nachfrage nach Südtiroler Gemüse und Fleisch aus – sind Abnehmer da?</b><BR />Plitzner: Es gibt Fortschritte, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Einige Hotels und Restaurants setzen auf regionale Produkte und sind bereit, höhere Preise zu zahlen. Doch das ist leider noch nicht die Regel. Ähnlich ist es bei den Konsumenten: Umfragen zeigen zwar, dass sie Wert auf regionale Produktion legen, aber die Realität spiegelt das oft nicht wider. Zwischen dem, was gesagt wird, und dem tatsächlichen Verhalten, klafft eine Lücke. Ich bin jedoch überzeugt, dass sich das mit einem Ausbau der Vermarktungsstrukturen verbessern kann. Das braucht einfach Zeit.<BR /><BR /><BR /><b>Das BRING-Team war im vergangenen Jahr über 7500-mal vor Ort bei Betrieben und hat 62 Kurse organisiert. Was bedrückt die Bauern aktuell am meisten?</b><BR />Plitzner: Ein großes Thema ist die Bürokratie, besonders im Milchbereich. Noch gravierender ist aber der allgemeine Frust, der sich durch alle Produktionsformen der Berglandwirtschaft zieht. Man arbeitet hart, reißt sich Tag für Tag den Hintern auf, und am Ende bleibt oft nur wenig bis gar nichts übrig. Die geleisteten Stunden und der Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Jeder Bauer wünscht sich, von seinen Produkten leben zu können. Doch das ist für die meisten im Vollerwerb nicht möglich. Viele fühlen sich zudem nicht wertgeschätzt – stattdessen wird in der Öffentlichkeit oft über das Thema Förderungen diskutiert. Dabei muss allen klar sein: Ohne Förderungen gäbe es in Südtirol keine Berglandwirtschaft mehr. Die geplante Ausweitung der Förderung für Betriebe in Steillagen ist daher kein Bonus, sondern absolut notwendig.