Freitag, 29. März 2024

Cybermobbing anno 1920

Blick ins Kino: „Das ist wahrer, als sie denken“. Dieses Motto stellt Thea Sharrock ihrem kleinen, feinen Film „Wicked Little Letters“ voran. Und tatsächlich passierte die Geschichte fast genau so vor etwas mehr als 100 Jahren im beschaulichen englischen Küstenstädtchen namens Littlehampton. Von Marian Wilhelm

Beschuldigen sich gegenseitig: Edith (Olivia Colman, rechts) und Rose (Jessie Buckley). - Foto: © wikipedia commons

Heute wäre es ein Fall von Cyber-Mobbing und anonymer Online-Belästigung. Damals ermöglicht das verlässliche Postsystem des Royal Mail Service das Verschicken der „kleinen schmutzigen Briefe“, so der deutschsprachige Filmtitel.


Marian Wilhelm - Foto: © privat


Empfängerin ist ausgerechnet die ehrbare christliche Junggesellin Edith Swan, die mit 50 noch bei ihren Eltern lebt, dem grantigen Patriarch Edward und seiner stillen Frau Victoria. Nicht nur die Namen sind in dieser Geschichte „very british’, auch der betont höfliche Umgangston der bibelfesten Kleinbürger. Umso mehr schockieren die obszönen Briefe voller Flüche und sexueller Beleidigungen, die Edith und später auch andere Einwohner von Littlehampton bekommen.


Szene aus „Kleine schmutzige Briefe “


Schnell fällt der Verdacht auf Rose Gooding, die neue irische Nachbarin in der Reihenhaussiedlung. Denn die flucht gerne und schert sich auch sonst nichts um soziale Konventionen. Die Witwe und Mutter eines uneheliches Kindes lebt mit einem schwarzen Mann zusammen – im England der Zwischenkriegszeit beides skandalös. Klar, dass die hinzugezogene Polizei sie schnell als Hauptverdächtige im Visier hat.
Die Klassenkonflikte samt viktorianischen Vorstellungen, wie eine Frau zu sein und zu leben hat, sind unübersehbar. Das konterkariert die gelernte Londoner Theaterregisseurin Thea Sharrock mit einem positiven Blick auf Frauensolidarität inmitten der bürgerlich-patriarchalen Strukturen. Genüsslich kostet sie dabei die Empörung über die schmutzigen Worte aus, im englischen Original herrlich derb. Das bringt komödiantische Frische in den ansonsten recht braven Kostümfilm. Die Aufklärung des Rätsels, wer hinter den schmutzigen Briefen steckt, gestaltet sich dann eher als comic-hafte Schnitzeljagd, angeführt von der jungen indischstämmigen Polizistin Gladys Moss.


Die Polizistin Gladys Moss (Anjana Vasan) aht, dass etwas nicht stimmt.


Was die nette kleine Komödie auszeichnet, ist das vorzügliche Schauspiel-Ensemble. Allen voran Olivia Colman und Jessie Buckley, die sich in Maggie Gyllenhaal starkem Regiedebüt „The Lost Daughter“ bereits eine Figur teilten. Auch die Nebenrollen sind mit Timothy Spall als Vater oder Anjana Vasan als Polizistin gut besetzt.
Auch wenn „Wicked Little Letters“ nicht so frech und frisch ist, wie seine Protagonistin Rose, macht er doch Spaß und bietet eine gute Alternative zu aktuellen royalen Verschwörungstheorien aus Great Britain.

Termin: Filmclub Bozen

eva

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